Oft ist es ein Satz, der bleibt, oder eine Sequenz, die überdauert, wenn man sich an einen Film erinnert. Hier, in Hans Weingartners neuem Werk, wird es der Wald sein, Martin, die Hauptfigur, die auf den zurückeroberten Bäumen sitzt, das Grün, das Braun, das Wilde, das Verwunschene am Rande der Stadt. Martin wurde in den Wald getrieben. Einen anderen Zufluchtsort hat er nicht mehr, seit er nach einem Zusammenbruch aus der Psychiatrie entlassen wurde. Seine Freundin hat sich getrennt, die versprochene Reintegration in den Job als Mathematiker fand nicht statt. Er ist nicht mehr der belastbare, einsatzfähige, aufstrebende Mitarbeiter. Er ist zum Außenseiter geworden, in nur einem halben Jahr. Weingartner zeichnet den sozialen Absturz sehr genau nach. Die karge Plattenwohnung vom Amt zugewiesen, der Griff zur Flasche, die Zwangsräumung und Obdachlosigkeit.
Trotzdem liegt über Weingartners Film eine Art mystischer Zauber der Hoffnung, obwohl er Martin und damit auch dem Zuschauer an realen Härten nichts erspart. Es liegt wohl an Viktor, dem kindlichen Alter Ego Martins, der wie ein Schutzengel über allem schwebt. Der kleine Junge aus der Nachbarwohnung behütet den Erwachsenen vor der Resignation, zeigt ihm Überlebensstrategien und führt ihn schließlich in die Sicherheit des Waldes. Dort baut Martin sein Haus. Nicht nur als Schutz vor den Widrigkeiten des Wetters, auch als Heimat für die Seele. Weingartner weiß um die Mythologie des Waldes, versteht ihn als „utopischen Ort“, dem besonders die Deutschen anhängen. Daß es an sich nur wenig bedarf, um zufrieden leben zu können, die Rückkehr zum Ursprünglichen ist auch eine Sehnsucht, die Weingartner aufgreift. Lena, eine Zahnarzthelferin, der Martin auf seinen Stippvisiten in der Stadt begegnet, träumt auch von einem Ausbruch aus dem geregelten Leben. Aber geht das, die Sicherheit aufgeben?
Eine kluger Regieeinfall Weingartners ist sicher, nie ganz aufzulösen, ob Viktor dem Krankheitsbild Martins entspringt. Er ist real und wird auch so inszeniert. In Weingartners Augen ist er der Freund, den man haben will, „ ... der nicht permanent analysiert und wertet, einer, der keine Vorurteile hat.“ Ein Kind eben. Als Martin, Viktor und Lena am Ende im Bus nach Portugal sitzen, wünscht man ihnen, daß sie sehr glücklich werden könnten. Denn wer entscheidet eigentlich über Wahnsinn und Norm?
D 2011, 120 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch
Genre: Drama, Poesie
Darsteller: Peter Schneider, Timur Massold, Henrike von Kuick, Andreas Leupold, Julia Jentsch
Regie: Hans Weingartner
Kinostart: 02.02.12
[ Susanne Schulz ]