Ein Anruf seiner Exfrau verändert das Leben des Ingenieurs Lothar komplett. Seine Tochter ist verschwunden, und obwohl er seit vielen Jahren keinen Kontakt zu ihr hat, macht er sich auf die Suche. Bald stellt sich heraus, daß seit einiger Zeit immer wieder Kinder verschwinden, daß es ständig mehr werden, und daß die Erwachsenen eine seltsam teilnahmslose Einstellung dazu entwickeln.
Nach einigen Arbeiten als Videokünstler für das Theater wagt Jan Speckenbach in seinem Spielfilmdebüt ein großes und lobenswertes Vorhaben, indem er das immer noch arg enge Korsett typisch deutscher Filmerzählungen abstreift und sich einer spannenden Was-wäre-wenn-Frage zuwendet. Er verpackt das brennend aktuelle, aber sträflich vernachläßigte Thema der demographischen Entwicklung in einen Mix aus Science-Fiction, Psychothriller und Autorenfilm. Manche Szenen schaffen es sogar, Erinnerungen an Filme von Bresson oder Haneke hervorzurufen. Aber leider gerät das ursprünglich angedachte Thema aus dem Blickfeld, wenn Lothar herausfindet, daß sich die Kinder im Internet in einer Gruppe organisieren und kollektiv zum Weglaufen und zum Kampf gegen die Erwachsenen verabreden.
Irgendwann wird er auf seiner Suche schließlich selbst zum Vermißten, irrt in einem unwetterartigen Regen über das Land, bis er schließlich am Ziel seiner Suche angelangt ist. In einem Stadtteil, der nur noch von Kindern bevölkert ist, versuchen Bürgerwehren aus verängstigten Erwachsenen, ihre geliebte Ordnung wiederherzustellen. Doch die Kinder rüsten sich wie ein großer Flüchtlingsstrom zur Abkehr von der Welt, die sie nicht ernst nehmen will. Dieses unmerkliche Abrutschen der Hauptfigur in eine Parallelwelt schafft der Film mit viel Fingerspitzengefühl. Die apokalyptische Atmosphäre einer realen Zukunftsvision, die er dann versucht aufzubauen, mag aber nicht so richtig rüberkommen. Und zu oft sind die Entscheidungen der Hauptfigur in den Szenen nicht nachvollziehbar.
Jede Schwäche möchte man dem Film jedoch verzeihen, allein weil die Wahl des Hauptdarstellers mit André M. Hennicke auf einen der interessantesten deutschen Schauspieler gefallen ist. Man möchte meinen, all die großartigen Filme der letzten Jahre haben sich in sein Gesicht eingeschrieben, wenn man die Nahaufnahmen betrachtet, die oft die stärksten Momente des Films sind, weil in den Augen dieses Mannes alles Nötige erklärt wird.
D 2012, 86 min
FSK 12
Verleih: Filmgalerie 451
Genre: Science Fiction, Thriller, Drama
Darsteller: André M. Hennicke, Luzie Ahrens, Sylvana Krappatsch, Jenny Schily, Sandra Borgmann
Regie: Jan Speckenbach
Kinostart: 10.05.12
[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...