Eine wortlose Szene im Film legt den Kern seines Sujets frei: In den Schweizer Bergen bittet ein See Juliette Binoche und Kristen Stewart zum Bade, die begehrte Schauspielerin (die eine begehrte Schauspielerin darstellt) und ihre junge Kollegin (die ihre Assistentin ist) lassen sich ins Wasser gleiten. Binoche ist nackt, Stewart behält BH und Slip an. Natürliche Reife trifft auf seltsame Scheu, Erfahrung auf Ressentiment, körperliches Selbstverständnis auf Unsicherheit. Europa trifft – etwas übers Ziel hinaus behauptet – Amerika. Symbole wie diese tauchen in den zwei Stunden von DIE WOLKEN VON SILS MARIA immer wieder auf. Regisseur Olivier Assayas ist ein Meister des Vexierspiels. Hier liebt er die Metaphern besonders.
„Ich fühl’ mich allein und verletzlich, ich laß’ mich grad’ scheiden“, sagt Juliette Binoche. Es ist ein erstes irritierendes Signal zwischen echt und Kunst. Auf den Bühnen des Lebens und Theaters gab es viele gute und bessere Tage für Maria Enders. An Arbeit mangelt es nicht, die Termine sind nur mit nervösem Nesteln auf Handies, Tablets und Navis zu bewältigen. Sie und Valentine sind ein bewährtes Team, nur diese Zugfahrt am Beginn läßt daran glauben. Da wäre aber diese eine Offerte, die eine besondere ist: Maria soll an der Neuinszenierung eines Stückes mitwirken, mit dem sie vor 20 Jahren Erfolge feierte. Damals war sie Sigrid, eine obsessiv veranlagte junge Frau, die Helena, ihre Chefin, in den Selbstmord treibt. Dankbar war die Rolle für den Durchbruch. Jetzt soll Maria Helena spielen, die Ältere, die – Angemessene. Befürchtet sie den Einbruch?
Teil zwei: Wie in Zeitlupe schieben sich Wolken über das Alpental von Sils Maria. „Schlange von Maloja“ wird das Phänomen genannt, der Geologe Arnold Fanck hat es 1924 schon auf Film gebannt, Nietzsche hat am Ort philosophiert, Schlechtwetter steht bevor. Maria ist mit Valentine in die Schweiz gekommen, um Texte zu proben, an Orten zu leben und sich in Landschaften zu bewegen, die markante Fixpunkte sind: Hier spielt das Theaterstück, für das sie nun zugesagt hat. Hier nahm sich der Schöpfer des Werks gerade das Leben. Hier wird Maria direkt mit Vergangenheit und Gegenwart, Wunsch und Wirklichkeit, Projektion und Realität konfrontiert. In Sils Maria wird sich zeigen müssen, wie weit sie schon mit sich selbst gekommen ist. Und auch, ob sie bereit ist, die Jüngere zu akzeptieren, die Sigrid spielen wird. Es ist eine blasse, quirlige Amerikanerin.
In DIE WOLKEN VON SILS MARIA inszeniert Regisseur Olivier Assayas elegant, spannend und mit ästhetischer Brillanz eine beeindruckende Riege Schauspielerinnen und Schauspieler. Es ist zudem eine im guten Sinne europäische Produktion. Assayas setzt immer neue Widerhaken in diese raffinierte, den Lebenssinn hinterfragende Geschichte. Besonders faszinierend ist die zunehmend vage Situation zwischen Maria und Valentine: Wird hier geprobt, oder unterminiert das Reale diese Beziehung? Männer agieren eher peripher.
Assayas folgt also mit diesem Blick auf Frauen den Fährten seiner Regie-Nachbarn Tykwer und Almodóvar. Und eines steht fester als zuvor: Juliette Binoche beim (Noch-)Schöner- und Älterwerden zuzusehen, wird der reine Genuß sein.
Originaltitel: SILS MARIA
F/CH/D 2014, 124 min
FSK 6
Verleih: NFP
Genre: Drama
Darsteller: Juliette Binoche, Kristen Stewart, Chloë Grace Moretz, Lars Eidinger, Hanns Zischler, Angela Winkler
Regie: Olivier Assayas
Kinostart: 18.12.14
[ Andreas Körner ]