D 2017, 105 min
FSK 0
Verleih: Constantin

Genre: Tragikomödie, Schicksal

Darsteller: Elyas M’Barek, Philip Noah Schwarz, Nadine Wrietz, Uwe Preuss, Lisa Bitter

Regie: Marc Rothemund

Kinostart: 21.12.17

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Dieses bescheuerte Herz

Carpe diem auf die emotionale Spitze getrieben

Klar, klingt vielleicht übersteigert, sofort zu Beginn ein ikonisches Multitalent zu zitieren, trotzdem hier mal Andy Warhol: „Die Menschen gehen ins Kino, um Menschen anzusehen. […] Menschen sind so phantastisch. Man kann mit ihnen keinen schlechten Film machen.“ Okay, da steckt einiger Irrtum im zweiten Satz, und der dritte läßt Zweifel zu, grundsätzlich stimmt’s allerdings schon. Und wer hätte es gedacht – eine deutsche Produktion, darüber hinaus auf der unter erfahrenen Kinogängern recht gefürchteten „wahren Geschichte“ basierend, tritt erfolgreich den Beweis an.

Dazu muß sich Lenny, schnöseliger Arztsohn, vorerst wieder wie der letzte Proll aufführen und das schnieke Cabrio im heimischen Pool versenken. Zeitgleich kämpft David panisch um Atemluft. Der 15jährige leidet an multiplen Krankheiten, seine Organe versagen regelmäßig, einem Horrorfilm ähnliche, geradezu bedrohliche Bilder illustrieren nachhaltig, was er fühlt: Schmerzen statt Lebensfreude. Kurz erinnert: Wir reden von einem Kind! Lennys Vater, Davids betreuender Herzspezialist, hat die Nase jetzt gestrichen voll, sperrt dem mißratenen Sproß sämtliche Kreditkarten und tauscht die Türschlösser aus. Nützliches soll der Müßiggänger fortan tun, David helfend zur Seite stehen. Was bleibt Lenny übrig, so finanziell trockengedockt?

Richtig, nichts, weshalb sich nun die erwartete zukünftige Freundschaft ihren Weg bahnt und Regisseur Marc Rothemund nach MEIN BLIND DATE MIT DEM LEBEN erneut weiß, wo er beim Publikum besonders sensibel reagierende Gefühlszonen findet. Nein, Korrektur: Rothemund sowie das versierte Drehbuchteam aus Maggie Peren und Andi Rogenhagen haben sogar dazugelernt, stricken die reale Story zum bezwingenden Komik-Tragik-Mix um, der drei formidablen Mimen Gelegenheit bietet, ein Trio – siehe oben, möglicherweise lag Warhol doch nah an der Wahrheit – phantastischer Menschen mimische Ehre zu erweisen: Während Elyas M‘Barek seinen schauspielerischen Horizont deutlich erweitert, dabei dennoch das angenehm Rotzige eines Zeki Müller teils bewahrt, verleiht Philip Noah Schwarz diesem David das Wichtigste überhaupt, nämlich Würde. Nadine Wrietz als gleichzeitig verzweifelte, liebevolle, strenge, überforderte, gezwungenermaßen starke und fast zusammenbrechende alleinerziehende Mutter schließlich zeigt, daß sie im Fernsehen regelmäßig verschenkt wird.

Rothemund dirigiert jene wunderbaren Darsteller, ohne wahlweise Samthandschuhe auszupacken oder elefantös durchs Geschehen zu trampeln. Möchte David eine Liste der noch zu erledigenden Dinge aufstellen, ist es schlicht Normalität, für Brustdruck sorgt ihr Inhalt – neben „Mich verlieben“ steht dort unter anderem „Mama mal wieder glücklich sehen.“ Kleine Wünsche eigentlich, aber anstrengende Schwerstarbeit – krankheitsbedingt natürlich, indes ebenso, weil David eine ganz schöne Nervensäge sein kann. Verklärung? Fehlanzeige. Umso komplexer der Emotions-Prozeß im Publikum, wenn der Junge den mittlerweile umfassend motivierten Lenny „Mein großer Bruder!“ nennt.

Die gegen Ende eventuell etwas zu stark aufgetragene Gemütsschicht verzeiht man klaglos, da Rothemund, M’Barek & Co. quasi das Leinwandäquivalent einer dicken, wohligen Umarmung gelang. Eine solche brauchen wir ja manchmal alle. Völlig egal, ob im jeweiligen Körper ein bescheuertes, uneingeschränkt funktionstüchtiges, schwaches, wildes oder eher kühles Herz klopft.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...