Dokumentarfilme über Identitätskonflikte gibt es wie Sand am Meer. Douglas Wolfsberger hat sich nun Protagonisten gesucht, die bei diesem Thema vor ganz besonderen Herausforderungen stehen: Doppelgänger.
Im Fokus steht Susanne Knoll. Die Norddeutsche wurde eher zufällig als Merkel-Double „entdeckt“ und war zunächst wenig begeistert von ihrer Ähnlichkeit mit der mächtigsten Frau Deutschlands. Trotzdem nahm sie, gerade mitten in der Trennung von ihrem Mann, das Angebot eines Agenten an und versuchte ihr Glück. Aus der schüchternen Mutter dreier Kinder wurde – die Kanzlerin. Als Doppelgängerin wurden ihr Privilegien und öffentliche Wertschätzung zuteil, die sie schnell schätzen lernte. Sie wird zu einer anderen, wenn sie Angela „ist.“ Selbstbewußt, bestimmt, mutig. Bald nimmt sie neben den „stummen“ Jobs lieber solche an, wo „ihre“ Meinung gefragt ist. Plötzlich hören ihr auch die Schlipsträger zu, und das Winken aus der abgedunkelten Limousine gelingt inzwischen auch ganz gut. Susanne Knoll merkt, daß sie Merkel inzwischen wirklich verkörpert. Trotzdem zieht sie irgendwann die Notbremse, weil sie wieder sie selbst werden will. An diesem Punkt ist aus der schüchternen Hausfrau über den Umweg des Doubles allerdings längst eine selbstbewußte, engagierte Frau mit politischen Ambitionen geworden. Der Emanzipationsprozeß vom Vorbild scheint aber geglückt zu sein: Knoll macht heute Wahlkampf für die SPD.
Wolfsberger, der schon mit wunderbaren Gruppenporträts wie BELLARIA – SO LANGE WIR LEBEN die Zuschauer begeistert hat, entscheidet sich, neben Susanne Knoll noch andere Doubles zu filmen. Denn es gibt noch eine Merkel in Süddeutschland, außerdem einen Erich Honecker und einen Leipziger Bill Clinton, die allein und gemeinsam auf Baumarkteröffnungen und Geburtstagen auftreten. Es wird deutlich, daß es auch im Doppelgänger-Business um Konkurrenz, Eitelkeiten und die Abgrenzung eigener Claims geht. Vor allem die einander spinnefeinden Alibi-Angelas provozieren manchen Lacher, aber dem Film hätte es trotzdem gut getan, wenn er einfach bei Susanne Knoll und seiner ursprünglichen Fragestellung geblieben wäre. Denn bei ihr wird deutlich, wie die vorübergehende Annahme einer fremden Identität das eigene Leben komplett umkrempeln kann, und wieviel Kraft es kostet, wieder zu sich selbst zurückzufinden. Leider bleiben diese grundsätzlichen Fragen doch etwas unterbelichtet. Hier hätte es den Mut gebraucht, sich ganz auf eine Person (oder soll man sagen: auf zwei) zu konzentrieren.
D 2011, 80 min
FSK 0
Verleih: Camino
Genre: Dokumentation
Regie: Douglas Wolfsberger
Kinostart: 13.09.12
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.