D/CH 2014, 90 min
FSK 16
Verleih: Alamode
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Victoria Schulz, Jenny Schily, Lars Eidinger, Urs Jucker
Regie: Stina Werenfels
Kinostart: 21.05.15
Es ist sicherlich für alle Eltern schwierig, wenn ihre Kinder die Sexualität entdecken. Führt doch nichts einem deutlicher vor Augen, daß man selbst alt wird. Daß man gerade als Mutter am Verblühen ist, während die Tochter einen geradezu magischen Duft der Weiblichkeit um sich her trägt. In Doras Fall ist es jedoch speziell kompliziert, denn die 18jährige ist behindert. Regisseurin Stina Werenfels hat sich einer sehr ambivalenten Geschichte angenommen, die auf dem Theaterstück von Lukas Bärfuss basiert, und die eines der letzten echten Tabus unserer sonst so (vermeintlich) liberalen Gesellschaft verhandelt. Denn Dora ist nicht nur geschlechtsreif, sie agiert ihre Triebe ungehemmt aus, und das auch noch mit einem Mann, der nicht behindert ist.
Hat Dora – wunderbar gespielt von Victoria Schulz – den aalglatten Peter nun verführt, oder hat er sie vergewaltigt? Ist er ein Soziopath oder einer, der eben gerade keine Tabus kennt? Zumindest von Doras Seite gibt es diese Fragen nicht, wird es sie nie geben. Sie liebt diesen Mann hemmungslos, genießt und bringt damit ihre Eltern an den Rand der Verzweiflung. Werenfels entwirft eine Studie der Gefühlswelten ihrer Charaktere, die uns durchschüttelt, aufwühlt und es schafft, daß man sich mit jeder Seite zu gewissen Teilen identifizieren kann.
Klar ist es für Doras Mutter Kristin schwer zu ertragen, wie unreflektiert Dora dann auch noch mit ihrer Schwangerschaft umgeht, wo sie selbst doch verzweifelt und kontrolliert versucht, endlich selbst noch eine gesunde Tochter zu bekommen. Diese Sehnsucht nach der „guten“ alten Normalität eben. Sie hat die ganze Zeit in Symbiose mit Dora gelebt, jetzt gönnt sie ihr das Kind nicht, empfindet es als Affront gegen all das, was sie für ihre Tochter ertragen mußte. Das sind keine hehren Empfindungen, aber sie sind menschlich. Genauso wie die Tendenz, permanent zu werten und prinzipiell von seinen eigenen Wertvorstellungen auszugehen. Ist diese Beziehung zwischen Dora und Peter nun also tragfähig, moralisch richtig? Wenn wir gefragt werden, wägen wir politisch korrekt ab, aus dem Bauch heraus kommt erst einmal ein Nein.
Die Einzige, die nicht filtert, ist Dora. Das genau ist es, was sie uns voraushat. Sie empfindet alles unmittelbar. Muß nicht um Authentizität ringen wie wir, die täglich eine Bühne betreten. Wir wünschen uns nicht, Dora zu sein, und doch wären wir gerne so wie Dora.
[ Susanne Schulz ]