19 Bewertungen

Dorfpunks

Nostalgisch erzählter Abschied von Jugend, Punkrock und Dosenbier

Provinz ist, wenn es weh tut. Aber auch, wenn es leicht ist, weil alles möglich scheint ... so rein theoretisch. Von diesem taumelnden Gefühl erzählt Lars Jessens neuester Film, er erzählt, wie man davon erzählen muß: spinnert, lakonisch, lebensecht, nostalgisch und mit Humor, einem anderen und nicht so vorgetragenen Witz wie in AM TAG ALS BOBBY EWING STARB.

Die Jungs um den blonden Schlacks Malte langweilen sich, liegen im Heu, philosophieren den Himmel herunter und haben eines Tages die brillante Idee, eine Punkband zu gründen. Allein die Namensfindung ist der Brüller: Deadhead Schmalenstedt, Bloodacker, Schweinepumpe, Warhead oder eben doch Fuck Of Tomorrow? Völlig egal, weil das Gefühl stimmt: „Eben waren wir noch Scheiße, jetzt sind wir ’ne Band!“ Die Jungs selbst und somit auch die Energien in diesem neuen Bündnis sind so verschieden, so individuell, wie sie nur sein können, auch und gerade in der Provinz, weil sie unterschiedlich träumen, weil sie in unterschiedlichem Maße sich immer wieder wegbeamen aus diesem verqueren Kosmos ... Malte ist noch am geerdetsten, versucht sich an der Töpferscheibe, Fliegevogel befindet sich in schlechter Gesellschaft und im Dauerdelirium, Flo muß seinen Traktor hinkriegen, und Sid reflektiert über die Auflösung der kapitalistischen Gesellschaft als solche ...

Jede Menge Wut, gepaart mit ein paar Dosen morgendlichem Gute-Laune-Bier und dem unbändigen Willen, Krach als Musik zu deklarieren – daraus speist sich durchaus ein ganz wunderbarer, ein ganz lebensnaher Film, der schon deshalb das Herz am richtigen Fleck trägt, weil seine Helden gut beobachtet sind: Die Eltern der Jungs stammen teils aus der ach so liberalen Friedensbewegung, sie unterichten, helfen ihren Kindern nach Schlägereien mit Nazi-Deppen noch immer aus der Patsche. Das Umfeld ergänzt sich aus Jungs im Samt-Pulli, die beim Pogo in der Dorfdisse ehrfurchtsvoll zur Seite rücken, Kulturhausmoderatoren mit Kumpelsprüchen, Oberlippenbart und Kassengestell und braven Mädchen, die Malte und seine wilden Jungs anhimmeln, weil sie es eigentlich auch mal ganz böse und bissl dreckig brauchen. Wobei auch da alles seine Grenzen hat, wie wir erfahren, als bei einer Party im elterlichen Haus der adretten Maria zuerst der Hund auf den Teppich kackt und Fliegevogel ins Schlafzimmer der Oldies pißt ... Dafür hat einer der Knaben den passenden nordisch-lakonischen Kommentar parat: „Nix für ungut!“

Aber gerade die ernsteren Töne bedingen noch immer eine gute Komödie über das Erwachsenwerden, und auch diese gelingen hier fabelhaft – in dieser Wut aufs Ländliche, aufs Kleine, die sich im Abfackeln der Strandkörbe als Symbol einer bräsigen Bürgerlichkeit entlädt, in einer spaßig beginnenden und nüchtern endenden Bootsfahrt und in der Erkenntnis, daß man gerade Fliegevogel scheinbar nicht mehr auf die „richtige“ Seite holen kann. Diese Schwebe, die es so wirklich nur in den 80ern gab, wird zudem ganz treffend mit den Liedern der Zeit illustriert: Da müssen sich neben den herrlich dilettantisch ausgekotzten Punksongs etliche Popklassiker wie Roxy Musics „More Than This“, Talk Talks „It’s My Life“ oder Siouxsie And The Banshees’ „Spellbound“ auch schon mal an die Seite von Laura Branigans „Selfcontrol“ gesellen. Spätestens dann erinnert sich doch jeder, der damals nicht nur zum Klavieruntericht oder zum Reiten ging, wie herrlich es war, sich einfach die Isomatten aufs Ford-Taunus-Dach zu packen und ans Meer zu fahren. Und eben nicht gleich an morgen zu denken ...

D 2009, 93 min
Verleih: Piffl

Genre: Erwachsenwerden, Musik, Drama

Darsteller: Cecil von Renner, Ole Fischer, Axel Prahl

Regie: Lars Jessen

Kinostart: 23.04.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.