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Drecksau

Der Mensch im Tier

Er spricht hämisch in die Kamera. Und blickt dabei direkt auf uns, die Zuschauer. Uns teilhaben lassend an seinen Plänen und Gedanken, an denen er sonst keinen teilhaben lassen kann. Aus gutem Grund. Denn Detective Sergeant Bruce Robertson verachtet seinen Job bei der Polizei, verachtet seine Vorgesetzten und Kollegen, die er mit unschuldigster Miene manipuliert und gegeneinander ausspielt. Er verachtet die Täter und die Opfer, mit denen ihn seine Arbeit konfrontiert, er verachtet Frauen und Männer. Er ist vulgär, geil, korrupt. Er nimmt Drogen, vögelt die Ehefrauen seiner Kollegen, nötigt Minderjährige zum Sex. Er betrügt und intrigiert, ist scheinheilig und abgründig, verlogen und von brutaler Offenheit. Oh ja, gegen Bruce Robertson ist der Bad Lieutenant ein Chorknabe, denn Bruce, das ist eine echt widerwärtige, genau, die titelgebende Drecksau.

Erfunden hat sie Autor Irvine Welsh, der neben „Drecksau“ auch schon andere Romane mit ähnlich programmatischen Titeln (auf die jeweils programmatische Handlungen folgen) verfaßte: „Porno“, „Crime“, „Ecstasy“ heißen die Werke. „Trainspotting“, nicht zu vergessen. Sonderlich einnehmend ist darin keine der Figuren – aber dieser Robertson, der schießt den Vogel ab. Und der Kniff, mit dem jetzt Regisseur Jon S. Baird diesen Kerl auf der Leinwand erscheinen läßt, ist so simpel wie famos. Ein Kotzbrocken zieht uns auf seine Seite, das heißt: ins Vertrauen. Er muß einfach, erklärt er, ein paar dieser unangenehmen Dinge tun, die er eben so tut, um eine Beförderung zu bekommen und um seine Familie zurückzugewinnen, und weil die anderen es eh nicht besser verdienen ...

Und bevor man das innerlich hinterfragt, ist man schon drin in einem Film, der wie im Delirium abspult. Eine oft fast surreale Höllenfratzen-Groteske, die, so Regisseur Baird „ … alle Extreme zwischen Komödie, Tragödie, Gewalt, Sex und Wahnsinn“ durchrast. Mit einem Antihelden, durch dessen Augen man die Welt zu sehen bekommt. Dieser Blick aber – und das ist die großartige, erschütternde Zwiespältigkeit dieses Films – ist nicht nur der eines verkommenen Zynikers, sondern auch der eines Mannes, den eine Schuld und Sehnsucht und Einsamkeit von innen her auffressen. Ähnlich dem Bandwurm, der in Robertsons Gekröse wütet. Ähnlich den Visionen, die seinen Kopf zu zersprengen drohen. Und während dieser Robertson noch wie besessen hin zur Beförderung intrigiert, ist sein Absturz schon in einer Phase, bei der das Ziehen der Reißleine nichts mehr nutzen würde. Und weil wir ja mit Robertsons Augen sehen und Hirn denken, begreifen wir: Dieser Kerl sucht im Grunde nicht den Aufstieg, sondern den Absturz, den großen Knall, die Erlösung, den finalen Exzess. Und er weiß es.

Was als böse, grelle Komödie anfing, wird Seelen- und Untergangsdrama dunkelster Färbung. Inszeniert mit einem fabelhaften Cast, in dem James McAcoy als Robertson wie das Epizentrum eines Erdbebens funktioniert. In selbstzerstörerischem Wahnsinn alles zu Sturz bringend, sich in Raserei erschöpfend und hinter der Drecksau einen kaputten Menschen sichtbar werden lassend. Der wird auch in der letzten Szene dieses Filmes noch einmal zu uns sprechen. Danach kann man aus dem Kino wanken und irgendwo was Starkes trinken gehen. Man wird es brauchen.

Originaltitel: FILTH

GB 2013, 94 min
FSK 16
Verleih: Ascot

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: James McAvoy, Jamie Bell, Imogen Poots

Regie: Jon S. Baird

Kinostart: 17.10.13

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.