Sie sind zu elft, die 9- bis 13jährigen auf dem Weg nach Handloh, versteckt irgendwo im tiefsten Bayern. Eine Erholungswoche, eine Möglichkeit abzuschalten, kurz zu vergessen, daß zu Hause ein Geschwister mit Handicap oder schwerer Krankheit erhöhte Aufmerksamkeit erfordert; manche sind bereits verstorben. Absolut selbstverständlich kommen den juvenilen Protagonisten zungenbrecherische medizinische Fachbegriffe über die Lippen, nüchtern beschreiben sie physisches Leid, vielleicht zwangsläufig schon viel zu alt im Geist. Eine vereinte Pause scheint dringend nötig.
Das versteht man sofort und wird berührt, wenn ein kleines Mädchen entschlossenen Blickes erzählt, wie es den Bruder gegen Hänseleien verteidigt, welche beiden gleichermaßen weh tun. Störend jedoch, daß sich Regisseurin Simone Jung immer wieder per Off-Kommentar einschaltet. An Stimme und Betonung gibt’s nichts auszusetzen, inhaltlich allerdings einiges, weil Jung meistenteils Offensichtliches verbal festklopft („Lea hat den Koffer für alle Wetterlagen vollgepackt!“) oder auf rhetorischem Eis fast ausrutscht: „Ob das hinhaut? Eine Auszeit von den Sorgen?“ Und apropos: Ihre These von den zum Leben zwingend dazugehörenden Sorgen birgt Diskussionspotential – an sich kein Widerspruch, aber gilt diese indirekt behauptete Normalität tatsächlich völlig unhinterfragt gleichermaßen für Kummer und Ängste, die sterbende beziehungsweise tote Brüder und Schwestern provozieren?
Das Thema bedingt weitere Probleme: Wie soll man sich ihm nähern, wenn die Kinder es einfach mal vergessen wollen? In Reaktion gibt’s kaum entsprechende Nachfragen, der Fokus liegt primär darauf, wie die Gruppe gemeinschaftlich einen Stop-Motion-Film realisiert. Zwischendrin: engagiert klimpernde Klänge sowie recht holprig animiert durchs Bild springendes/fliegendes/laufendes Getier, nach Abzug des erwähnten eigenproduzierten Werks eine reichliche Dreiviertelstunde lang. Daß auf solche Weise Oberflächlichkeit das Zepter schwingt, daran ändern auch ein paar Interviewfetzen wenig, zumal die letztlich eher bloß nominellen Hauptpersonen erneut hauptsächlich über ihre Geschwister reden und sich quasi gewohnheitsmäßig mehrheitlich selbst hintanstellen. Da tappt jene zweifellos gut gemeinte Doku dann endgültig in die Falle und baut den Kindern lediglich enge Stolperpfade als temporären Weg aus den übermächtigen Krankheits-Schatten.
D 2016, 70 min
FSK 0
Verleih: Trickfilmkinder
Genre: Dokumentation, Schicksal
Regie: Simone Jung
Kinostart: 16.03.17
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...