Im Italienischen nennt man sie Tre Cime di Lavaredo; in Deutsch sind sie schlicht die Drei Zinnen. Ein Gebirgszug in den Sextner Dolomiten von knapp 3000 Metern Höhe. Landschaftlich eine recht imposante Angelegenheit in der Art, wie diese drei sich wie abweisend nebeneinander formierenden Felstürme aus ihrem wuchtigen Gebirgsmassiv in den Himmel ragen.
Bestens geeignet, den Menschen auf sein Maß zurechtzustutzen, mithin ein wenig Demut zu lehren. So was wie familiären Zusammenhalt vielleicht auch. Letzteres zumindest mag eine der Intentionen gewesen sein, die Lea und Aaron veranlaßten, im Schatten der Drei Zinnen einen Urlaub schon etwas außerhalb der Saison zu verbringen. In Naturidylle und Einsamkeit auf der Alm. Und das zusammen mit dem 8jährigen Tristan, dem Sohn Leas, den sie aus der vorangegangenen Beziehung mitbrachte.
Auf daß der sich daran gewöhne; also an das, was hier eine (seine) neue Familie werden soll. Nach den Wünschen der Erwachsenen, die dabei freilich empathisch und liebevoll genug sind, dieses Projekt im Umgang mit dem Kind in aller gebotenen Geduld verwirklichen zu wollen. Schließlich, daraus wird in aufgeklärter Offenheit auch kein Hehl gemacht, hängt Tristan noch sehr am leiblichen Vater. Wie sehr allerdings, das soll dann tatsächlich erst dieser Urlaub zeigen. Die Wünsche der Erwachsenen sind nicht die des Kindes, das bei seinen Versuchen emotionaler Selbstbehauptung mehr und mehr eine unheilvolle Atmosphäre provoziert. Eine, die sich gefährlich verdichtet und zusammenzieht, gleich dem Nebel, welchem Aaron und Tristan beim Bergwandern im letzten, im finalen Viertel dieses Films ausgesetzt sind. Eines Films, dem man zu diesem Zeitpunkt schon alles zutraut: das vielleicht doch noch erlösende Happy End einer Versöhnung wie auch die rigorose Konsequenz der Tragödie.
Wofür sich Drehbuchautor und Regisseur Jan Zabeil entschieden hat, darf hier freilich keinesfalls verraten werden. Nur so viel: Es ist auch visuell eine ziemlich packende Angelegenheit geworden. Und verliert selbst dann nicht diesen speziellen Erzählrhythmus eines konzentrierten Bergaufstiegs inklusive genauen Hinsehens und Hinhörens. Ruhig schreitend und selbst bei der dramatischen Zuspitzung nie ins Hyperventilieren geratend.
Zabeil, der schon mit seinem Erstling DER FLUSS WAR EINST EIN MENSCH (2011) eine geradezu trotzig selbstgewisse Erzähl-Eigenwilligkeit an den Tag legte, bewahrt sich diese auch für seinen neuen Film. DREI ZINNEN ist ein intimes, reduziertes Kammerspiel vor kolossaler Kulisse. Mit Dialogen, deren emotionale Temperaturkurve sich mit den Ereignissen erhöht, ohne dabei jemals hitzig zu werden, gar in Gebrülle zu verfallen. Und in deren anfängliche Alltäglichkeit bald der Unterton einer dezenten Überhöhung einzieht; etwas, wenn man so will, „Literarisches“, das das Seine dazu beiträgt, diesen Film nicht im bloßen Psychogramm verebben zu lassen.
Ganz abgesehen davon, daß das auch die drei Darsteller bestens zu verhindern wissen. Ohne auf Sympathiefang zu gehen, ohne Manierismen, dafür im souveränen Ausspielen auch jener charakterlichen Ambivalenzen, die im Kontext der Geschichte und vor dieser Kulisse freilich schnell zu Abgründen werden können. Wie die sich in DREI ZINNEN auftun, und welche Folgen das hat, macht Zabeils Film nicht zuletzt auch zu einem Thriller, der frei von allen Thriller-Konventionen seine Spannung erstklassig aufzubauen vermag.
D/I 2017, 94 min
FSK 12
Verleih: NFP
Genre: Drama, Thriller
Darsteller: Alexander Fehling, Bérénice Bejo, Arian Montgomery
Regie: Jan Zabeil
Kinostart: 21.12.17
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.