Dagmar Knöpfels Film zeigt die letzten Tage der bis heute berühmtesten tschechischen Schriftstellerin Bozena Nemcová, die im 19. Jahrhundert versuchte, ihr Leben selbst und unabhängig zu gestalten. Nun gibt es schon eine Vielzahl von Filmen, sogenannte Biopics, welche das Leben berühmter Frauen zum Thema haben. Zuweilen sind diese sehr aufwendig inszeniert und gestatten dem Zuschauer biographische Einblicke, die sich an Lebensdaten und wichtige Ereignisse halten, eine mehr oder weniger vorsichtige Interpretation der Beziehung zu anderen wichtigen Persönlichkeiten unternehmen, kurz, die dem Publikum die Person möglichst facettenreich vorführen. Dagmar Knöpfels Film hingegen ist - bezüglich der verwendeten filmischen Mittel und des verwendeten biographischen Materials, ein sehr spartanisches Experiment.
Bozena Nemcová hinterließ 1861, als sie nach schwerer Krankheit starb, drei Entwürfe zu einem Brief. Anhand dieser zeichnet die Regisseurin Lebensstationen einer Frau nach, die am Widerspruch zwischen freier Künstlerin und abhängiger Ehefrau und Mutter zerbrach. Das vorgefundene literarische Material gibt dem Film Struktur. Die Beobachtung einer mit dem Tod ringenden Schreibenden wird immer wieder durch Rückblenden unterbrochen, in denen Episoden aus ihrem Leben nacherzählt werden: der glanzvolle Empfang auf der Höhe ihres Erfolges als 1855 der Roman "Großmutter" erscheint, der Tod des Sohnes, die Ehekrise, die Flucht aus Prag ... Diese Rückblenden sind weder chronologisch geordnet, noch wollen sie das Abbild einer Realität sein. Knöpfel zeigt vielmehr, wie sich Wahrnehmungen verschieben und wie im Schreiben alles neu entstehen kann. Im Film ist es der Anspruch, daß "alles besser werden muß", der die Sterbende am Schreiben hält und sie immer wieder verwerfen und von vorn beginnen läßt. So wiederholen sich auch Szenen in den Rückblenden, denn es muß neu und anders erzählt werden.
Filmisch folgt Knöpfel diesem Anspruch Nemcovás außerdem mit dem Wechsel von Perspektiven, mit Verschiebungen der Zeitausschnitte und einer variierenden Lichtdramaturgie. Auf diese Feinheiten im Kontext einer strengen Form muß sich der Zuschauer einlassen können, wie auch auf das intensive Spiel Corinna Harfouchs, welches im Kino selten so schmerzhaft zu beobachten war.
D 2004, 109 min
Verleih: Movienet
Genre: Biographie, Drama
Darsteller: Corinna Harfouch, Boleslav Polívka, Petr Forman
Regie: Dagmar Knöpfel
Kinostart: 17.11.05
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.