Youzek ist ein schwarz-weißes Strichmännchen auf einer schwarz-weißen Kuhweide und soll eigentlich nur schwarz-weiße Strichkühe hüten. Doch irgendwie ahnt er von Anfang an, daß es da jenseits von kackenden Kühen noch ein Räderwerk des Schicksals geben muß, ein Universum der Wunder, Ozeane voller Farben und Abenteuer. Und richtig: Bald schon spaziert diese sommersprossige Unschuld mit Hirtenflöte durch Hölle, Fegefeuer, Olymp und Paradies und schwimmt am Ende nach Amerika. Die Hölle ist ein Großraumbüro mit Teufelchen auf Speed. Im Fegefeuer steigt ständig die Belegungsquote, weil die Selbstmörder alle unfähig sind. Im Olymp wird Salvador Dalí beim Porträtieren einer brennenden Giraffe von Sisyphos’ Stein erschlagen. Im Paradies recken Engel ihre prallen Ärsche, Heilige lupfen ihre Kutten und tanzen Cha-Cha-Cha. Und über allem schweben die Heiligen Drei Könige auf einer rosa Wolke und spielen Jazz.
Der 72jährige Pole Andrzey Czeczot hat mit sechzig Mitarbeitern in sechs Jahren einen surrealistischen, mal poetischen, mal gallebitteren Film handgemalt, irgendwo zwischen Marc Chagall und Southpark. Nur mit seiner Flöte bewaffnet schickt Czeczot seinen Hirtenjungen durch einen Mythenpark der Monster, Mumien, Mutationen. Geifernd, geil und blutrünstig wimmelt ein gesamteuropäisches Bestiarium über die Leinwand, komplett mit Hexen, Drachen, Einhörnern, Seejungfrauen, Napoleon Bonaparte und Drogo, dem küheschlingenden Flugungetüm. Wie gut, daß diese Odyssee in ihrem kleinen Odysseus Youzek ein verläßliches Epizentrum hat: ein Strichmännchen im verschlingenden Farbrausch der Sündenbabel und Wunderwelten, unkorrumpierbar schwarz-weiß, ein ewiger Jude in satirischer Mission, aber auch auf der Suche nach dem gelobten Land und dem Sinn des Lebens.
Denn wo Bestien ihre Krallen wetzen und Rabbis, Blutfontänen und Raketen durch die Lüfte fliegen, da kreisen auch immer tröstende Fixsterne am Himmel: das Logenzeichen der Freimaurer, das Peace-Symbol und immer wieder der Davidstern. Am Ende ist Youzeks gelobtes Land die Skyline von Manhattan. Das ist kein Stilbruch, kein romantisches Happy End, sondern der letzte Streich dieses exzentrischen Schelmenromans.
Nach fünfzehn Jahren im Exil kehrte Andrzey Czeczot Mitte der 90er aus den USA in seine Heimat zurück und steckte sein Herzblut und 4000 Kilo andere Farben in diesen Film.
Originaltitel: EDEN
Polen 2002, 85 min
Verleih: Neue Visionen
Genre: Animation
Stab:
Regie: Andrzey Czeczot
Drehbuch: Andrzey Czeczot
Kinostart: 05.08.04
[ Christian Seichter ]