Österreich/D 2016, 113 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber
Genre: Biographie, Dokumentation, Historie
Regie: Christian Krönes, Olaf Müller, Roland Schrotthofer, Florian Weigensamer
Kinostart: 06.04.17
Brunhilde Pomsel arbeitete von 1942 bis 45 als Sekretärin für den NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. EIN DEUTSCHES LEBEN porträtiert die über 100jährige Berlinerin, die sich selbst bis zu ihrem Lebensende als „Randfigur“ bezeichnete. Pomsel trägt ihr Alter mit Würde, und als Betrachter ist man hin- und hergerissen zwischen Sympathie für ihren Mut, sich diesem Gespräch auszusetzen, und Abscheu, das ewige „Ich habe es nicht gewußt“ von jemandem zu hören, der sich derart nahe am Zentrum der Macht befand.
Das vierköpfige Regieteam setzt sein Gegenüber in gediegenem Schwarz-Weiß ins Bild und kommt ihrem vom Alter zerfurchten Gesicht dabei so nahe, daß es schwerfällt, den Kontext des Gesagten nicht aus den Augen zu verlieren. Der Kontext, das sind immerhin 60 bis 70 Millionen Tote weltweit, davon sechs Millionen europäische Juden, die dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Diese Fakten versucht der Film zu integrieren, indem Archiv-aufnahmen des Grauens gegen die Aussagen Pomsels geschnitten werden. Das ist schwer zu ertragen, schlägt aber dennoch ein Stück weit fehl, weil diese Montage nicht Pomsel, sondern die Zuschauer mit dem Grauen konfrontiert. Diese Zurückhaltung mag angesichts des hohen Alters der Protagonistin geboten scheinen, führt aber zu einer gefährlichen Wahrnehmungsspaltung der Geschichte. Auf der einen Seite das unleugbare Grauen, auf der anderen Seite die teils banalen, teils entlarvenden Erzählungen aus dem NS-Alltag.
Beides bleibt unverbunden, weil die Fragenden zu höflich sind, ihr Gegenüber mit den Widersprüchen zu konfrontieren, nachzuhaken oder zu widersprechen. So bleibt Pomsels Sichtweise auf die Deutschen, die sich nicht gegen das „Naturereignis“ Nationalsozialismus wehren konnten, einfach so im Raum stehen und wird sogar noch mit regelmäßig eingeblendeten Goebbels-Zitaten, die den Demagogen als Denker in den Film einführen, garniert. Eine schwierige Art der Rückschau.
Trotz allem trägt natürlich auch ein Film wie dieser dazu bei, uns Nachgeborenen dieses dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte nahezubringen. Dennoch muß sich das Projekt die Frage gefallen lassen, ob die Welt nach André Hellers Film IM TOTEN WINKEL – HITLERS SEKRETÄRIN noch ein weiteres Interview mit einer charismatischen Vorzimmerdame der Macht gebraucht hat.
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.