Man kennt ihn ja auch selbst, diesen trotzigen Wunsch: Vorbei ist vorbei! Schau nicht zurück. Etwas soll abgeschlossen sein, unwiderruflich. Und man weiß es doch besser. Die Vergangenheit, nie wirklich vergangen, ist präsent in der Gegenwart - und das gerne als Stachel. Oder als Dissonanz, unterschwellig, aber nichts desto weniger quälend. Es ist wie mit den Bildern in EIN GEHEIMNIS. Bilder, die gerne Idyllen malen. Sommerlicht getränkte Impressionen. Das schöne Leben. Und doch ahnt man, daß daran etwas falsch ist. Eine zu vehemente Behauptung der Unbeschwertheit.
Claude Miller ist ein Meister in solchen Dingen. In den Achtzigern schenkte er dem Kino mit DAS VERHÖR (1981) und DAS AUGE (1983) zwei Thriller, die sich mit ungeheurer Raffinesse dem Verstellen, den Maskeraden und den Abgründen dahinter widmeten. Die Qualität dieser Filme hat Miller so komprimiert nie wieder erreicht. Auch nicht mit seinem neuen Film DAS GEHEIMNIS. Die späten 50er. Das Einzelkind François, sieben Jahre. Sein Buhlen um die Liebe des Vaters. Die Verweigerung dieser Liebe. Die Gründe dafür, die sich François erst mit den Jahren nach und nach eröffnen. Gründe, die zurück führen in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Zum Trauma der Shoa. Zur Verleugnung der eigenen, der jüdischen Identität. Und hin zu einer heimlichen Liebe, aus der Verrat und Schuld erwuchsen.
Die Gegenwart, die 50er Jahre, die Zeit der Besatzung. Drei Zeitebenen, die Claude Miller in der Verfilmung des Bestsellers von Philippe Grimbert, durchaus geschickt verschachtelt. EIN GEHEIMNIS ist klug montiert, schön fotografiert und erstklassig besetzt. Und bleibt dennoch seltsam leblos. Miller dringt hier eben nicht zum Kern. Er verharrt in einer Form der Beschaulichkeit. Über allem flirrt der Sommerwind, den hier vielleicht auch die Altersmilde eines Regisseurs entfacht. Heilend, versöhnend erzählt Miller.
Absolut legitim - nur, daß außer einer Ahnung so wenig davon zu spüren ist, wie tief die seelische Wunde klafft, wie schwer diese Schuldlast wiegt, welcher Schmerz da eben und warum zu heilen, zu lindern ist. Das Leiden zu fotogen, um es zu glauben. Es fehlt der Stachel, die Dissonanz. In Millers Film ist die Vergangenheit vergangen. Auch wenn er das Gegenteil behauptet.
Originaltitel: UN SECRET
F 2008, 100 min
FSK 12
Verleih: Arsenal
Genre: Drama, Historie, Literaturverfilmung
Darsteller: Cécile De France, Patrick Bruel, Ludivigne Sagnier, Mathieu Amalric, Julie Depardieu
Regie: Claude Miller
Kinostart: 18.12.08
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.