Originaltitel: TITLI
Indien 2014, 124 min
FSK 16
Verleih: REM
Genre: Drama
Darsteller: Shashank Arora, Lalit Behl, Shivani Raghuvanshi, Ranvir Shorey, Amit Sial
Regie: Kanu Behl
Kinostart: 25.06.15
Titlis verstorbene Mama wünschte sich ein Mädchen, als sie den Kindsnamen wählte, denn Titli bedeutet „Schmetterling.“ Sofort erwachen Assoziationen zu einem bunten, optimistisch wuselnden Flatterding, doch das Leben dieses jungen Mannes ähnelt eher einem grauen Nachtfalter, der depressiv am Schrank klebt. Er wohnt in den indischen Slums, umzingelt von zwei kriminellen Brüdern und dem desinteressierten Vater. Und jetzt soll Titli auch noch Neelu heiraten, um sein Weggehen zu verhindern! Letzteres stünde an, um eine ehrliche Arbeit ohne Gewalt zu finden. Weil aber auch Neelu eigene Ziele verfolgt, verbünden sich die zwei Zwangsverehelichten und hecken einen forschen Plan aus. Ob er gelingt?
Jener zentralen Frage geht nun ein Film nach, der sich sozialdramengemäß höchstem Realismus verschreibt, was bedeutet: unruhige Kamera, ungeschönte Bilder, ruppige Schnitte, allgegenwärtiger Straßenstaub. Und natürlich dient der hiesige Mikrokosmos lediglich als Haken, an dem das Bild einer kompletten Gesellschaft aufgehängt werden soll. Was allerdings besser funktionieren könnte, wenn die zum Prototyp erwählten Personen mehr Facetten hätten: Ein Bruder prügelt jähzornig völlig Fremde und seine Gattin, der andere konturiert sich durch die Beziehung zu einem Mann, beide schrecken nicht vor fiesester Brutalität zurück.
Selbst Titli absolviert keine echte Entwicklung, er zweifelt zwar am unrechten Handeln, läßt sich aber breitwillig darauf ein. Identifikation scheint schwierig bis ausgeschlossen, wiederkehrend eingestreute Szenen des gesellschaftlichen Alltags (arbeitende Menschen, fliegende Vögel etc.) wollen zudem wohl Normalität des Geschehens suggerieren. All das kostet Interesse, man bleibt ein aus der Ferne zuschauender Beobachter.
In Cannes reichte solcher Ansatz trotzdem zum Geheimtip-Status und geradezu euphorischen Kritiken. Ganz ehrlich und ohne Attacke der betreffenden Personen – erklärbar ist derartiger Überschwang eigentlich nur mit vielleicht sogar unbeabsichtigten, indes deutlichen Zugeständnissen an westliche Sehgewohnheiten. Darin inkludiert: stets Nuancen gegen Deutlichkeiten tauschendes Schauspiel sowie ein verzichtbares (weil erklärerisches) Finale, welches zeigt, wie Titli verbal gegen das wahre familiäre Problem aufbegehrt. Jetzt hat‘s endlich sogar der letzte, nicht ganz aufmerksame Gast im Publikum verstanden.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...