Originaltitel: UNE VIE
F/Belgien 2016, 119 min
FSK 12
Verleih: Film Kino Text
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Judith Chemla, Jean-Pierre Darroussin, Yolande Moreau, Swann Arlaud
Regie: Stéphane Brizé
Kinostart: 24.05.18
Jeanne ist eine wohlbehütete, adelige junge Frau, die dem Leben mit Arglosigkeit und Zugewandtheit begegnet. Mit ihren Eltern auf einem idyllischen Landsitz in der Normandie zu Hause, wandelt sie zunächst unbeschwert durch die Tage. Stephane Brizé überläßt den Zuschauer den profanen Routinen seiner Figuren. Mit einem morgendlichen Bad, ein wenig Gartenarbeit, dem Abendmahl und einem Kartenspiel rinnen scheinbar endlose Mengen von Zeit dahin. Doch im nächsten Moment springt man voraus in eine stürmische Nacht, die die Tonalität des Films setzt. Derlei erzählerischer Kunstgriffe, die Raffungen und Brüche erschaffen, bedient sich Brizé in Fülle. So entstand ein Filmkunstwerk, das die Intentionen seines Schöpfers in jedem noch so kleinen Detail auf das Großartigste entfaltet. Guy de Maupassants literarische Vorlage wurde dabei von Brizé nicht einfach adaptiert, er hat sie sich auf einer tiefen Gefühlsebene angeeignet. Dadurch gelingt ihm die Inszenierung einer Frauenfigur, wie man sie nur selten in dieser ausgefeilten Komplexität im Kino erleben darf. Jeanne bleibt auch in Brizés Werk eine Idealistin. Sie wird verletzt und betrogen, entwickelt sich jedoch nicht zur sich selbst aufopfernden Märtyrerin. Sie bleibt bei sich, gibt sich nicht preis. Während ein Lars von Trier beispielweise die Leidensfähigkeit seiner weiblichen Figuren gerne zelebriert, ja, als gegeben setzt und somit als ihre einzigen Stärken inszeniert, wird Brizés Jeanne nie zum willfährigen Opfer. Obwohl sie vom Schicksal immer weiter und fundamentaler an ihre emotionalen Grenzen getrieben wird.
Ihre Ehe mit dem verarmten Vicomte Julien de Lamare ist nicht glücklich, sie erfährt Verrat, aber eben auch Momente tiefer Nähe und Freundschaft, die der Regisseur in mehrschichtigen Ellipsen erzählt. Ein bis in letzte Spitzenborde durchdachtes Kostümbild, das jedes Kleid in Kombination mit einem fulminanten Setdesign eine eigene kleine Geschichte erzählen läßt, erinnert in keinem Moment an die pompöse Präzision klassischer Kostümfilmausstattungen. Auch das für heutige Filmwerke ungewöhnliche, fast quadratische Filmformat sowie die herausragende Kamerarbeit von Antoine Héberlé spitzen die Handlung auf das innere Kammerspiel einer Frau zu, die fast starrsinnig ihre kindliche Haltung bewahrt und mit Größe die Spirale des Lebens beschreitet.
[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...