Originaltitel: UN PROPHÈTE
F/I 2009, 150 min
FSK 16
Verleih: Sony
Genre: Drama, Thriller
Darsteller: Tahar Rahim, Niels Arestrup, Adel Bencherif, Reda Kateb
Regie: Jacques Audiard
Kinostart: 11.03.10
Am Anfang hat Malik nichts. Keine Freunde, kein Geld, keine Bildung und keine Beziehung zu seinen maghrebinischen Wurzeln. Vor allem keine Protektion. Die hat der junge Mann bei seinem sechsjährigen Knastaufenthalt am nötigsten. Der „Neue“ ist nervös, reizbar, unsicher. Er kennt nicht die Regeln in diesem großen Spiel, das ein Leben hinter Gittern je nach Blickwinkel auch sein kann, wenn man Einfluß hat und nicht zu zimperlich ist.
Den Zugang zu diesem Universum, eines der Geschäftemacherei und der Machtkämpfe unter verfeindeten Clans, findet der ahnungslose Malik in Form eines Mordes, den er an einem arabischen Mithäftling verüben soll. Dafür wird ihm die Protektion der korsischen Mafia angeboten, die an diesem Ort am stärksten mitgestaltet. Der Auftrag ist ein Muß, eine Frage von Leben und Tod, auszuüben mit einer im Mund versteckten Rasierklinge. Ein entsetzliches und riskantes Unternehmen. Doch das ist nur der Auftakt zu einer bahnbrechenden Knastkarriere, bei der Malik – man höre – vor allem der Wille, sich zu bilden, voranbringt.
Der Vergleich mit Francis Ford Coppolas Klassiker DER PATE liegt nahe, schon wegen des epischen Atems, aber auch aufgrund der Wucht und der Vielschichtigkeit des Filmes. Obwohl er den Aufstieg eines Kriminellen schildert, fiebert der Zuschauer mit, wenn er zunehmend die Fäden selbst zieht und die arabischen und korsischen Clans gegeneinander ausspielt. Schließlich gibt es für ihn keine andere Welt als diese schmutzige, die übrigens keineswegs vor den Gefängnisgittern Halt macht. Auch das eine Frage der Wahrnehmung; aber immer stärker beginnen sich die Unterschiede zwischen Drinnen und Draußen aufzulösen. Fast magisch.
Den Boden dafür bereitet Stéphane Fontaines Kameraarbeit. Von der ersten Sekunde an zieht sie einen in einen klaustrophobischen Gefängnisrealismus hinein, um dann diesen engen Horizont zugunsten komplexer Erzählebenen umso weiter zu öffnen. Tahar Rahim als Malik legt dabei eine absolut überzeugende Charakterentwicklung hin. Ebenso beeindruckend: Niels Arestrup als Mafiaboß César Luciano, der, als der korsische Einfluß bröckelt, seine zerbrechliche Seite offenbart: nicht weniger als die tiefe Angst vor der Einsamkeit.
Wer nach zweieinhalb spannenden Stunden das Kino verläßt, weiß zunächst selbst nicht mehr, ob er sich drinnen oder draußen befindet. So sollte es sein.
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...