Originaltitel: THE LAST STATION

D/GB/Rußland 2009, 113 min
FSK 6
Verleih: Warner

Genre: Historie, Drama

Darsteller: Helen Mirren, Christopher Plummer, James McAvoy, Kerry Condon, Paul Giamatti

Regie: Michael Hoffman

Kinostart: 28.01.10

1 Bewertung

Ein russischer Sommer

Unter Birken – Liebeskrieg und Altersfrieden

„Es sind immer die einfachsten Ideen, die außergewöhnliche Erfolge haben.“, heißt es bei Tolstoj. Auch für den biographischen Roman „Tolstojs letztes Jahr“ kann das gelten. Jay Parinis literarische Rekonstruktion aus überlieferten Schriften, aufgeschüttet mit Fiktion, erfüllte gleichermaßen Wünsche nach historischer Authentizität und flüssiger Lektüre. Wenige Kritiker wollten sich dem verweigern – sicher schon wegen des namhaften Gegenstandes. Wie verschiedene Auszeichnungen zeigen, scheint der Filmadaption ähnliches Wohlwollen entgegenzuschlagen.

Das Landgut Jasnaja Poljana ist zentraler Schauplatz der Ereignisse kurz vor Tolstojs Tod im Spätherbst 1910. Ein kindhafter Greis ist er inzwischen, bekehrt zu umfassender Enthaltsamkeit und umschwärmt von Anhängern. Seine Frau Sofia, seit fast fünfzig Jahren treue Gefährtin, scheint nichts ausrichten zu können gegen die bunte Schar der sogenannten Tolstojaner, die Ansprüche auf das Erbe des Meisters, ja auf ihn selbst erheben. Als der neue Sekretär ins Haus kommt, milchbärtig, ungeküßt und glühend vor Bewunderung, wird er Zeuge ihres Kampfes um eine übergroße Liebe, den sie mit Flehen, Gezeter und wütenden Ausbrüchen führt. Bis zuletzt.

Das Personalaufgebot dieser paneuropäischen Großproduktion ist so international wie renommiert. Jeder Darstellerpreis sei Helen Mirren gegönnt – auch wenn sie kommende Ehrungszeremonien in einigen Auftritten schon allzu sehr im Kopf hatte. Und Christopher Plummer, der sich hier Verdienste um die Aufnahme von Väterchen Frost in die Weltliteratur erwirbt, darf sich Träger des vielleicht prächtigsten Bartes der Ausstattungsfilmgeschichte nennen. Aber die Ausstattung ist denn auch der erste Haken an dieser Adaption. Gehobene russische Folklore von Birkenwald bis Onkel-Wanja-Melancholie trifft auf gediegene Bilder, hinter denen man allerhand unaufgeräumte Andeutungen über komplexe zeitgeschichtliche Hintergründe versteckt hat. Am zweiten Haken hängt Schwereres: Die Vielheit der Perspektiven, die man an der Vorlage mögen konnte, gerät in der geradlinigeren Filmerzählung zu launischen Stimmungsschwankungen.

Immerhin, die Zähne hat sich der an Shakespeare- wie an Hollywood-Romantik erprobte Regisseur an Parinis Roman nicht ausgebissen. Dafür bietet der Text einfach zu wenig Widerstand.

[ Sylvia Görke ]