Marco Wilms hatte schon als Kind einen Hang zur Verkleidung und wußte laut Off-Kommentar immer, daß er etwas Besonderes war. Uiuiui! Was tat Wilms also angesichts dieser gefühlten Andersartigkeit? Richtig, er wurde Model. In der ehemaligen DDR. Heute ist Wilms Familienvater, ein normaler Mensch eben. Aber ihn plagt Unruhe, etwas fehlt seinem Leben. Also macht sich GDR’s Last Topmodel auf die Suche, klingelt bei vormaligen Weggefährten (Designerin, Maskenbildner, Modefilmregisseur et cetera) an, um sich einen Wunsch zu erfüllen: eine DDR-Modenschau. Wie damals. Und dreht darüber eine Dokumentation, denn man will ja die Leute draußen gern am eigenen Gedankengut teilhaben lassen ...
Damit hätten wir auch schon die narrative Klammer, welche dieses DDR-Mode-Bild zusammenhalten möchte. Als Problem erweist sich indes, daß die aufgescheuchten Mitstreiter entweder nicht wirklich viel zu sagen wußten, oder aber ein fragwürdiger Schnitt ihre Aussagen beschränkte, denn generell pochen alle bloß zunehmend ermüdend darauf, der diktatorischen Enge entflohen zu sein. Einen Duschvorhang zum Kleid umzuschneidern, war demnach Revoluzzertum erster Güte. Aha! Dazu gibt es noch Archivaufnahmen, die mehr sagen als endlose Worte: Zuzuschauen, wie junge Frauen in schrecklicher, aber als modern angepriesener Klamottage zwischen Kühen herumspringen, hat was für sich, zumal es neben dem Unterhaltungswert durchaus einen Tiefenblick auf das Sujet gewährt.
Andere Lebensgefühls-Abbildungen wirken allerdings eher ungeschickt. Wenn nichts mehr geht, werden eben Margot und Erich Honecker beim Schunkeln eingeblendet. Ist ja auch ein Zeitdokument, sozusagen. Trägt aber genauso wenig zum Thema bei wie aus dem Leitfaden für Dokumentationen entsprungene „Immer beide Seiten betrachten!“-Szenen. Da ist zum Beispiel von an der Mauer erschossenen Kindern oder Vergewaltigungen durch Polizisten die Rede (DDR – Terrorstaat!), andererseits kommen Wortschöpfungen wie die heutige „Einsamkeitsdepression“ vieler Menschen (Deutschland – Anonymität allerorten!) zur Sprache. So was funktioniert in seiner Plumpheit kaum.
Marco Wilms hegte also einen Traum. Schön, daß er ihn sich am Ende mit einer selbstverliebt inszenierten Ostalgie-Moden- und Nabelschau erfüllen konnte. Ein Homevideo zur Erinnerung hätte aber gereicht.
D 2009, 84 min
FSK 12
Verleih: Polyband
Genre: Dokumentation
Regie: Marco Wilms
Kinostart: 23.04.09
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...