Originaltitel: MAGYARÁZAT MINDENRE

Ungarn/Slowakei 2023, 128 min
Verleih: Grandfilm

Genre: Drama

Darsteller: Gáspár Adonyi-Walsh, István Znamenák, Andras Rusznák

Regie: Gábor Reisz

Kinostart: 19.12.24

Eine Erklärung für alles

Der Anstecker des Anstoßes

War es nun sein Bekenntnis zum Patriotismus in Form eines kleinen Nationalansteckers, das den jungen Abel durch seine mündliche Geschichtsprüfung hat rasseln lassen? Schließlich weiß jeder, daß der hippe Geschichtslehrer Jakab für Anhänger von Viktor Orbans Fidesz-Partei nichts übrighat. Oder hat vielleicht eher Abels frisch erblühte Liebe zu seiner besten Freundin Janka ihn vom Lernen abgehalten? Die Empörungsspirale jedenfalls ist schnell in Gang gesetzt in EINE ERKLÄRUNG FÜR ALLES. Als eine ehrgeizige Nachwuchsjournalistin auf den Fall aufmerksam wird, kann der Abiturient die Geister, die er rief, nicht mehr einfangen.

Die Überlagerung des Privaten durch das Politische ist das Thema des Films von Gábor Reisz. Sie ist allumfassend, selbst aus vermeintlich alltäglichen Äußerungen wird ein politischer Standpunkt hergeleitet. Dieses gegenseitige Abtasten des Gegenübers und das sofortige Einordnen in das politische Spektrum dürften auch hierzulande vielen Menschen vertraut sein. In der Konsequenz begegnet man dem Anderen nicht mehr in erster Linie als Mitmenschen, sondern als Vertreter eines Standpunktes – sei dieser nun real oder imaginiert. 

Reisz inszeniert einen spröden, sich langsam entfaltenden Film über eine verhängnisvolle Halb-Lüge. Alles wirkt hier sehr nüchtern-naturalistisch bei weitgehend natürlichem Licht und an betont realistischen Schauplätzen. Zwar braucht es eine gute halbe Stunde, bis die Handlung in Gang kommt, dann jedoch fesselt dieses genau beobachtete Porträt der ungarischen Gesellschaft. Ihre Bruchlinien und Verwerfungen ähneln der deutschen in vielerlei Hinsicht.

[ Dörthe Gromes ]