Originaltitel: EN FAMILIE
DK 2010, 102 min
FSK 12
Verleih: Tobis
Genre: Drama
Darsteller: Lene Maria Christensen, Jesper Christensen, Pilou Asbaek
Regie: Pernille Fischer Christensen
Kinostart: 03.03.11
Pernille Fischer Christensen hat was von einem reiferen Covergirl: schulterlange schwarze Haare, dazu passende Augen, ebenmäßiges Gesicht, volle Lippen. Nur harte Züge um den Mund sowie im Blick verraten eine Frau, die schon einiges erlebt hat und adäquate Filme dreht. Wie diesen hier.
Im Vorspann wird mal eben eine ganze Familiengeschichte umrissen, dann geht’s gleich richtig los: Ditte hat nicht nur beziehungstechnisch großes Glück, sondern eben auch ihr Traumjobangebot bekommen. In New York, also nicht gerade der nächste Weg zur Heimat Kopenhagen. Da muß selbst das ungeborene Kind weichen, Ditte treibt ab. Nun könnte man schon aus jener Konfliktsituation ein vollwertiges Drama zaubern, zumal Dittes Freund die Entscheidung wenig begrüßt. Aber Christensen hat anderes vor und läßt Dittes Vater Rikard an Krebs erkranken. Unheilbar. Rikards letzter Wille: Ditte soll den Familienbetrieb weiterführen, da sich weder seine Lebensgefährtin Sanne noch die andere, eher ignorierte, Tochter dazu eignen. Doch was wird nun aus New York?
Auf Dittes schmalen Schultern ruht folglich eine erschreckende Last, wobei Christensen mit gnadenloser Brillanz und brillanter Gnadenlosigkeit immer noch einen Zentner draufpackt: Rikards Aggressionen seiner Umwelt gegenüber. Angst und Hilflosigkeit. Emotionale Erpressung. Den physischen Schmerz des Vaters, welcher sich in Anfällen inklusive kaum erträglicher Schreie äußert. Sannes Unfähigkeit, den Kranken weiter zu versorgen. Und und und. Bis schließlich Ditte diesen Satz sagt, der ihre Situation auf einen erschütternden Punkt bringt: „Wenn er doch nur endlich sterben würde!“
Das ist extrem, das tut schon allein deswegen richtig weh, weil Christensen keine billigen Sympathien verteilt, sondern sämtliche Figuren transparent und ihr Handeln nachvollziehbar macht, während sich die Familie in Einzelpersonen aufspaltet. Schleichend und unaufhaltsam, doch ohne laute Töne. Christensen beobachtet in aller Ruhe und Intimität, findet ganz kleine Szenen, welche einen Status als große Erzählerin beweisen. Wie die pubertär rebellierende Enkelin an Opas Hand, den Hund ausführend.
EINE FAMILIE wirkt derart echt, daß man nicht am Ende gerührt schluchzt und nach dem Kinobesuch dann noch einen Schlummertrunk nimmt. Es ist kein sentimentaler Taschentuchfilm, die Tränen bleiben aus. Gut so. Denn es geht um viel mehr.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...