Originaltitel: UNE NOUVELLE AMIE
F 2014, 108 min
FSK 12
Verleih: Weltkino
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Romain Duris, Anaïs Demoustier, Isild Lo Besco
Regie: François Ozon
Kinostart: 26.03.15
Lippenstift, Eyeliner, Tusche, Rouge, Glockenschlag und Schnitt. Nein, eine Hochzeit wird das hier nicht, wenn die Jungvermählte doch im Sarg liegt. François Ozon kann sie einfach, diese Vexiermalerei in wenigen Strichen, dieses lustvolle Auf-die-falsche-Bahn-Führen, dieses Andeuten und Umlenken, dieses Streicheln und Kratzen. Das steht für sein bisheriges Oeuvre, dem durchaus eine Handschrift zu attestieren ist, dem aber auch gleichsam eine wunderbare Portion Unberechenbarkeit innewohnt, und all das trifft auch auf seinen neuesten, man reibe sich die Augen, nun auch schon 15. Film zu.
Zuerst hören wir Claire, wie sie über die Verstorbene spricht: „Laura war meine beste Freundin!“ Von Kindheit an, wenn auch in einvernehmlichem Mißverhältnis: Die Kleinere schubst die schaukelnde Laura an, sie bürstet deren Haar, schaut ihr beim wilden Knutschen mit einem Beau zu, während sie den Knaben mit der großen Brille abkriegt. Der Blutsschwesternspruch „À la vie, à la mort“ ist dennoch durchaus ernst gemeint. Weshalb sich Claire nun nach dem Tod der Freundin um deren Mann David und das Baby kümmert. Claires Versprechen, über den Tod hinaus für Laura und deren Familie da zu sein, erfährt bald eine Prüfung, die auch eine Gelegenheit ist. Sie besucht David und Töchterchen Lucie. Lippenstift, Eyeliner, Tusche, Rouge, kurzes Kleid und Damenjäckchen.
Es wäre Quatsch, sinnentfremdete Geheimniskrämerei zu betreiben: Nein, nicht Claire hat sich derart aufgemotzt, David sitzt so vor ihr, sein Kind auf dem Schoß. Blicke, Worte, krachende Türen. Die sich bald wieder öffnen, denn Ozon erzählt eine verblüffende, fintenreiche, hinreißende, schon auch durchgeknallte und dabei ganz feinfühlige Geschichte über eine neue Freundin eben. Natürlich wird Claires Irritation nicht einfach so weggeschnippt, Ozon findet eloquente Wege, um deren Geheimnis vor Angriffen zu schützen. Als ihr Mann sie fragt, wo sie denn war, muß sie kaum lügen: „Bei einer Freundin!“ Ohnehin taugt die Geschichte zum klugen Gedankenspiel über unsere Geheimnisse, die manchmal gewollt und bisweilen aufgebürdet sind, die uns aber oft eben auch ausmachen.
Und wenn aus David Virginia wird, dann ist das alles andere als ein Opfergang, es ist ein glockengleicher Befreiungsschlag, den im übrigen der doch oft ziemlich stereotyp besetzte Romain Duris formidabel auszufüllen weiß. Mit welch’ kindlicher Freude, Lust und Neugier er Virginia neue Kleider ausprobieren und erste Shoppingtouren veranstalten läßt, hat Witz und rührt zudem an. Es geht weder um neumodisches Crossdressing, noch läßt sich Ozon auf irgendeine mühselige Gender-Debatte ein, er erzählt ganz schlicht von einer neuen Lust am Leben, vielleicht auch als Ausdruck von Trauer, mehr aber noch von Befreiung. Und wenn Perücken rutschen, hat das genau deswegen keinen Charlies-Tante-Ruch, sondern Verletzlichkeit und zudem reichlich Würde. Dabei geht Ozon behutsam vor: Keine Ruckzuck-Behauptungen, dafür Fingerspitze beim Wandel von Spiel und Bestimmung, von Versteck und Öffentlichkeit, von Freundschaft und Begehren.
Richtig, Claire verliebt sich, auch Virginia verliebt sich, und dabei stellt sich überhaupt nicht die Frage, wie, warum, seit wann und in wen eigentlich? Das ist die Glanzleistung eines Films, der sich ganz beherzt auch zu manch’ sehr campem Moment bekennt. Übertreibung war auch in Ozons erstem Spielfilm SITCOM ein adäquates Mittel, um von Umbrüchen zu erzählen. Überhaupt kommt sein neuester Film trotz formal bürgerlichem Gewand der Schrägheit seiner ersten Werke ziemlich nahe.
Und wie damals verrät er seine Figuren nicht an schäbige Gags, er gesteht ihnen Traurigkeit zu, was normal und gut ist, denn über seiner Geschichte schwebt nun mal die Erkenntnis, daß das Leben wesentlich leichter sein könnte, wenn man die Menschen nur machen lassen würde. Weg von diesen normierten Vorstellungen, wie man ein, wie man sein Leben zu führen hat. Und das Ende, bei aller Nonchalance, ist ein revolutionäres: Ozon träumt Familie neu.
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.