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Eine Sekunde

Die empfindsame Schönheit des Zelluloids

Der chinesische Regisseur Zhang Yimou gehört zu den Großmeistern des Kinos. Im Realismus geerdete kraftvolle Melodramen (ROTE LATERNE, DIE GESCHICHTE DER QUI JU) beherrscht er ebenso souverän wie opulente Wuxia-Epen (HERO, HOUSE OF FLYING DAGGERS). Allesamt Filme, die ihrem Regisseur international zu Recht höchstes Ansehen einbrachten.

Und so war die Enttäuschung groß, als 2019 zur Berlinale Yimous Wettbewerbsbeitrag EINE SEKUNDE quasi in letzter Sekunde von chinesischer Seite zurückgezogen wurde. „Technische Probleme“ war die offizielle Begründung. Nun ja, wie auch immer – nach einem Nachdreh kam der Film 2020 in die Kinos. Wenn auch erst einmal nicht in die deutschen. Doch meckern wir nicht rum – schließlich ist es ja jetzt so weit. Und man kann nur mal wieder hoffen, daß der Film sein Publikum findet!

EINE SEKUNDE führt zurück in die 70er und erzählt vom politischen Häftling Zhang (!), der nach Jahren der Haft aus dem Arbeitslager geflohen ist, weil er in einem fern abgelegenen Wüstenkaff eine bestimmte propagandistische Wochenschau sehen muß. „Muß“ deshalb, weil auf dieser Zhangs Tochter für eine Sekunde als fleißige Werktätige im Bild erscheint. Und es ist diese irre Sehnsucht nach diesem einen Blick auf das geliebte und doch längst verlorene Kind, die Zhang antreibt – und mit dem Waisenmädchen Liu aneinandergeraten läßt. Die nämlich hat die Filmbüchse mit der Wochenschau geklaut. Und das aus ebenfalls sehr speziellen Gründen.

EINE SEKUNDE ist Tragikomödie, Außenseiterdrama, ironisches Sittengemälde aus der Zeit der Kulturrevolution – und eine schlicht wunderbare Liebeserklärung ans Kino, für die der Film Bilder findet, die mal erhaben, mal auf poetische Art obskur, mal unverhohlen nostalgisch sind. Und in hinreißend gewitzten Szenen die empfindsame Schönheit des Zelluloids feiern. Natürlich ist dabei auch EINE SEKUNDE visuell wieder ein Fest. Aber eins, daß Yimou in aller Stille und Zurückhaltung bereitet. Für all jene, die das Kino wirklich lieben. Bleibt zu hoffen, daß es auch in Deutschland davon noch ein paar gibt.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.