So klein die DDR als Land war, so groß war sie im Sport. Die „Diplomaten im Trainingsanzug“ hatten die Aufgabe, der Welt die Überlegenheit des Sozialismus zu demonstrieren. Noch heute prägt das sogenannte „DDR-Sportwunder“ das Selbstverständnis und die Identität vieler Ostdeutscher. Doch das Wunder fußte nicht nur auf strategisch angelegter Talentförderung, sondern auch durch immensem Druck. Sandra Kaudelke weiß genau, wovon sie spricht: Sie war selbst jahrelang Teil des DDR-Sportsystems, wurde schon im Kindergarten als talentierte Turmspringerin „entdeckt“ und fortan in der Sportschule gedrillt. Auch dann noch, als sie selbst den Sprungturm schon längst nicht mehr freiwillig betrat. Ein Ausstieg jedoch war im planwirtschaftlich organisierten Sport nicht vorgesehen, und so machte Kaudelka weiter – und mit jedem Sprung wuchs die Angst.
Dabei wußte sie damals als 12jährige nichts vom staatlich organisierten, nahezu flächendeckenden Doping. Schon Kinder und Jugendliche wurden regelmäßig mit als „Vitaminpräparaten“ getarnten Anabolika behandelt. Viele tausend ehemalige DDR-Sportler leiden noch heute unter den schweren Folgeschäden des DDR-Dopings. Ein Schicksal, das Kaudelka aufgrund ihrer Jugend wohl weitgehend erspart blieb. Trotzdem oder gerade deshalb ließ sie die Frage nicht los, wie es eigentlich denen ergangen ist, die das DDR-Sportsystem in seiner Gänze kennengelernt haben. Wie war es, regelmäßig an die Grenze seiner mentalen und körperlichen Leistungsfähigkeit zu gehen? Was fühlt man, wann man in den Stasi-Akten verfolgen kann, daß der eigene Trainer Jugendliche und Kindern ohne ihre Erlaubnis und trotz aller Nebenwirkungen gedopt hat?
Sandra Kaudelka macht sich auf die filmische Suche nach den sportlichen Idolen ihrer Kindheit und trifft vier ehemalige DDR-Athleten, die ihr Rede und Antwort stehen: die Wasserspringerin Brita Baldus, die Staffelläuferin Ines Geipel, den Kugelstoßer Udo Beyer und die Sprinterin Marita Koch. Sie alle führen heute, mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall, ein ganz anderes Leben und bewerten das DDR-Sportsystem sehr unterschiedlich. In der Aufarbeitung der eigenen Geschichte, die aufs engste mit dem politischen System verknüpft ist, sind sie letztlich alle Einzelkämpfer.
Kaudelka gelingt es in ihrem Film, sowohl die Menschen als auch das System sichtbar zu machen. Das Thema Doping ist dabei nur eines unter vielen – dafür aber ungeahnt aktuell.
D 2013, 93 min
FSK 0
Verleih: Farbfilm
Genre: Dokumentation, Sport
Regie: Sandra Kaudelka
Kinostart: 10.10.13
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.