Originaltitel: ELEPHANT

USA 2003, 81 min
Verleih: Kinowelt

Genre: Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Alex Frost, John Robinson

Regie: Gus van Sant

Kinostart: 08.04.04

1 Bewertung

Elephant

Wenn Teenager nicht mehr träumen - Gus van Sants brillantes Drama über ein Schulmassaker

Zu Beginn dieses filmischen Ausflugs in das dunkle Herz Amerikas verirrt sich die Kamera in die Wolken. Dabei soll nun eine Geschichte erzählt werden, die irdischer - da allgegenwärtig - nicht sein könnte. Doch schnell verfärbt sich der Himmel Unheil dräuend dunkel. Das Tor ist quasi damit aufgestoßen: Willkommen im 21. Jahrhundert, willkommen an einer Highschool in der amerikanischen Provinz. Willkommen im Vorhof vieler Teenager-Höllen.

Da ist John, der blonde Knabe, der sich mit seinem trunkenen Vater herumärgern muß. Dann sieht man Eli, auf dem Weg zur Schule, wie immer mit einer Kamera in der Hand, um festzuhalten, was ihn umgibt. Daß die Bilder von Mitschülern, die er fotografiert, die letzten Relikte ihres jugendlichen Lebens sein werden, davon ahnt er nichts. Schließlich tauchen Eric und Alex auf, die John warnen, das Schulgebäude besser zu meiden. Jetzt und sofort. Daß sie es ernst meinen, ist unmißverständlich: mit schweren Taschen, randvoll mit Munition, in martialischer Kleidung und festen Schrittes betreten sie die Schule. Wenige Minuten später werden unzählige Mitschüler tot, Lehrer hingerichtet, die Außenwelt schockiert und Politiker ratlos wie zuvor sein ...

Gus van Sant treibt die karge, aber um so effektivere Handlung seiner Geschichte durch Rückblicke, Parallelhandlungen, Gegenschnitte, beklemmende Totalen und eine vorerst scheinbar unbeteiligte Sicht voran. Figuren werden so grob skizziert wie nur nötig, den beiden Attentätern provokant sämtliche Teen-Killer-Klischees von der Hitlerverehrung bis zur musischen Begabung an die dürren Leiber geheftet, Motive weitgehend ausgespart - von den üblichen Rückblenden, in denen die Jungen unfair behandelt, vielleicht auch sozial etwas benachteiligt werden, mal abgesehen. Gus van Sants vermutliche Teilnahmslosigkeit taugt zwar auch zur beabsichtigten Provokation, doch nur auf den ersten Blick, denn sie offenbart viel mehr als Zweckapathie. Auch van Sant gibt sich als tatsächlich ohnmächtig zu erkennen, auch er, der Überlieferer dieser blutigen Moritat, kann nur vermuten, hält keine Patente gegen die immer häufigeren Gemetzel an Schulen parat. Doch in dieser Zurückhaltung offenbart sich auch ein mahnender Geist, der fehlende Bildung, soziale Ausgrenzung, unmündige Konsummanie und mangelnde Perspektiven anklagt. Dieser Blick auf Amerika ist selbstkritisch, traurig und bitter: Einmal fragt John seinen vielleicht 45 Jahre alten Vater, ob er denn dabei war, damals im 2. Weltkrieg ...

Lächerlichmachen und Zynismus liegen van Sant eher fern. Er ist vielmehr ein objektiv-stiller Erzähler und eben auch ratloser Beobachter: So alleingelassen verursacht jener Moment, in dem Eric und Alex beginnen, die Namen ihrer potentiellen Feinde aufzuschreiben - eine Art Sterbecasting - beim Zuschauer schwerste Beklemmungen. Wenn die Mädchen in einer Schulpause laut darüber nachdenken, daß mit dem nun letzten Jahr an der Highschool "der Countdown läuft", dann ist das ein Moment galliger Bitternis in Anbetracht des Schicksals, das sie kurz darauf ereilen wird. Gus van Sant ist bei aller Drastik aber auch ein sehr subtiler Erzähler, keiner, der mehr als nötig und nur des Effektes wegen draufhält. Eher einer, der zur Auseinandersetzung bittet.

Doch nicht als Moderator, sondern als künstlerischer Aufwiegler, als Anecker: Wenn kurz vor dem Massaker Eric und Alex gemeinsam duschen und sich küssen, dann hat das so gar nichts Sexuelles. Da blitzen nackte Angst und pure Verzweiflung durch. Und - vielleicht ein Lösungsansatz - abgrundtiefe Einsamkeit.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.