Der iranische Film hatte wieder eine starke Präsenz auf der diesjährigen Berlinale, auch wenn einer seiner Hauptprotagonisten, Jafar Panahi, seinen Platz in der internationalen Jury nicht einnehmen konnte, weil er als kritischer Filmemacher zuvor verhaftet und mit einem 20jährigen Berufsverbot belegt wurde. Filmemachen im Iran bleibt also ein Drahtseilakt. Sicherlich auch für Asgahr Farhadi, der mit NADER AND SIMIN, A SEPARATION wieder einen Film im Wettbewerb hatte. Für ELLY erhielt er 2009 den Silbernen Bären, diesmal reichte es gar für Gold.
Umso spannender zu entdecken, wie weit entfernt ELLY von dem eindimensionalen Bild ist, das wir uns aufgrund von Nachrichtenbildern allzu leicht vom Iran machen. Mit schnellen Schnitten werden wir in einen fröhlichen Freundeskreis eingeführt. Drei junge, gebildete Familien verbringen ein verlängertes Wochenende am Meer, in einer leerstehenden Villa direkt am Strand, die sie sich mit viel Improvisation aneignen. Eine schwerelose Szenerie weitab von Themen der Tagespolitik, Fragen der Meinungsfreiheit oder Religion. Daß hier dennoch Machtfragen verhandelt werden, wird bald klar. Verhandlungsgegenstand ist Elly, eine Grundschullehrerin, die an diesem Wochenende verkuppelt werden soll. Was als Spielerei beginnt, wird zunehmend Ernst, und schließlich verschwindet die geheimnisvolle Elly, von der, wie sich alsbald herausstellt, eigentlich niemand etwas weiß. Die naheliegendste Lösung ist, daß sie ertrunken ist. Eine Reihe von Schuldzuweisungen und Halblügen führen die Zurückgebliebenen an den Rand ihrer Souveränität und rufen verborgene Verhaltensmuster wach.
Zwar impliziert der Film das Porträt einer Gesellschaft, die nicht ganz so liberal ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint, doch ist das nur eine von vielen Ebenen, auf der er sich lesen läßt. Er ist sehr viel universeller als das, beginnt gar als leichtfüßiger Konversationsfilm in französischer Manier, entwickelt sich dann zu einem Thriller mit stets unvorhersehbarem Handlungsverlauf und entpuppt sich schließlich als Kammerspiel, das um moralische Fragen und Verstrickungen kreist.
Endgültige Antworten gibt es nicht, zum Glück. ELLY ist mitnichten ein Lehrstück, sondern zuallererst ein Film von subtiler Spannung, getragen von einem beeindruckenden Ensemblespiel.
Originaltitel: DARBEREYE ELLY
Iran/F 2009, 119 min
Verleih: fugu film
Genre: Drama, Thriller
Darsteller: Ahmad Mehranfar, Golshifteh Farahani, Mani Haghighi, Marila Zare'i
Regie: Asghar Farhadi
Kinostart: 10.03.11
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...