D 2020, 135 min
FSK 16
Verleih: Weltkino
Genre: Biographie, Drama
Darsteller: Oliver Masucci, Harry Prinz, Katja Riemann, Erdal Yildiz, Désirée Nick
Regie: Oskar Roehler
Kinostart: 01.10.20
Oskar Roehler spricht einem aus dem Herzen. So in einem Interview mit dem NDR: „Daß heutzutage alle so lieblose, geschlechtslose und didaktische Filme machen“, sagt er, „hat damit zu tun, daß sie große Feiglinge vor der eigenen Meinungsbildung und den eigenen Gefühlen sind.“ Einen wie Fassbinder, so Roehler weiter, könne es heute nicht mehr geben. Das herrschende Mentalklima eines „geklonten Sauberkeitsdenkens“, die allseits devote Bereitwilligkeit zur Selbstzensur, mache einen „Giganten wie Fassbinder“ unmöglich.
Nun sei an der Stelle dahingestellt, was eigentlich so „gigantisch“ an Rainer Werner Fassbinder ist. Also abgesehen von einer Produktivität, ob derer der Mann, der 1982 mit 37 Jahren starb, 44 Filme gedreht hat. Von den entstandenen Theater- und Autorenarbeiten ist da noch nicht die Rede. Ein Output, der weniger auf einen Giganten als vielmehr einen Maniker verweisen mag. Einen Maniker in einem Zeitgeisthamsterrad, das damals indes von ganz anderen Kräften angetrieben wurde als heute.
Was auch Roehlers ENFANT TERRIBLE sehr schön zeigt. Ein Film, in dem sich somit ein Enfant terrible dem anderen widmet. Was jetzt ein wenig angestrengt spitzfindig klingt, aber allein deshalb paßt, weil auch dieser Film zumindest ein wenig angestrengt (und darin auch etwas spitzfindig) daherkommt. Das spricht nicht automatisch gegen ihn. Läßt aber ahnen, daß Roehlers neues Werk eher nicht zu jenen gehört, die mit dieser großen wilden Geste, mit diesem ganz bestimmten inszenatorischen Wumms daherkommen, die die Arbeiten dieses Regisseurs oft so besonders machen. ENFANT TERRIBLE ist ein Künstlerporträt als Fassbinder-Kosmos-Innenschau. Eingebettet in wechselnde Theatersettings und zwischen Hysterie und Agonie tänzelnd, inszeniert Roehler Fassbinders Neigung zur Theatralik in Kunst und Leben als wilden Film des Theatralen. Mit großen Emotionen vor bemalten Kulissen und zahllosen Anspielungen für die Gemeinde der Kenner streift ENFANT TERRIBLE dabei die Stationen des zunehmenden Ruhms wie der seelischen Zerrüttung Fassbinders. Und vertraut in all dem vor allem und zu Recht einem fraglos tollen Schauspielerensemble.
Allen voran Oliver Masucci, der Fassbinder als „eine Art Gefühlsdiktator“ (Roehler) zeigt, der seine Künstler-Ersatzfamilie um sich schart und in ein Bestrafungs- und Huldigungssystem einspinnt – an der Grenze zum Psychoterror. Manipulativ und charismatisch, egomanisch und empathisch, großherzig und herzlos – Masuccis Fassbinder ist das alles und das oft in einem Moment.
Gleichwohl bleibt der Film oft in einer Statik stecken, die wohl auch aus jener ganz bestimmten Redundanz des Denkens, Fühlens und auch künstlerischen Entäußerns rührt, die Fassbinder selbst eigen war. Ein Schleier an Banalität, der sich gerade auch darin zeigt, wie Fassbinder heute dazu verdammt ist, als Heilige Kuh des Neuen deutschen Films auf den grünen Wiesen jenes ewigen Lobgesangs zu grasen, der vor allem im letzten Frühling, anläßlich des 75. Geburtstages Fassbinders, allseits pflichtschuldigst angestimmt wurde.
Vom Lobgesang freilich ist Roehlers Film weit entfernt. Und genau deswegen ist vielleicht dessen größte Stärke der Phantomschmerz, den er hinterläßt: Nein, einen wie Fassbinder würde es heute nicht mehr geben können.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.