Eben lebte Judith, eine Frau um die 50, noch unbehelligt auf ihrem Weingut, arbeitete hart und hielt die kleine Familie zusammen. Sie lächelt nie, blickt müde, trägt kein Make-up. Hat es das Leben nicht gut mit Judith gemeint? Doch als Alice auftaucht, verkompliziert sich die Situation weiter: Sie lächelt auch niemals und kompensiert innere Leere häufig durch Alkohol sowie schnellen Sex. Das Mädchen will bloß kurz bleiben, sucht nach einem Unfall Hilfe. Aber in Judith erwacht Mißtrauen.
Zuerst umkreisen die beiden Frauen einander, lauernd, wartend. Scheinbar unverfänglicher Smalltalk folgt. Schließlich fragt Judith: „Wie hast Du mich gefunden?“ Man kennt sich also, und endlich legt Alice die Maske ab. Sie weiß um Judiths Geheimnis, einen dunklen Fleck in deren Vergangenheit. Sie gibt der Älteren die Schuld an ihrer verkorksten Existenz. Und sie hat nur ein Ziel – Judith soll sühnen, um jeden Preis.
Selten zuvor wurde ein so schwieriges Thema mit derartigem Fingerspitzengefühl umgesetzt: Obwohl das Sujet geradezu nach Schwarz-oder-Weiß-Kategorisierungen schreit, vermeiden es Regie und Buch jederzeit, in ihnen zu denken. Die psychische Bestandsaufnahme bringt kein „Opfer“ und keine „Täterin“ ans Tageslicht, sondern fragwürdige Entscheidungen inklusive ihrer Konsequenzen, die Frage, welches Handeln persönliche Ideale noch rechtfertigen. Es gelingt dem hervorragenden Skript herauszuarbeiten, wie subjektiv Gerechtigkeit sein kann, daß unter Schuld immer auch und vor allen Dingen leidet, wer sie trägt. Einmal fällt dieser Satz, voll wütender Verzweiflung: „Es ist so verdammt einfach, die Dinge von ihrem Ende her zu betrachten.“ Hinzufügungen unnötig.
Was dieses in seiner Dichte perfekte Duell allerdings teils ins Straucheln bringt, ist Katharina Schüttlers Darstellung. Sie porträtiert Alice nicht nur mit ökonomischem Einheitsblick und Sparmimik, sondern posaunt ihre Drehbuchzeilen auch dermaßen überheblich heraus, daß man keinen Zugang zur Seele der zerrissenen Figur findet, weil der Eindruck entsteht, hier eher ein bockiges Kind beim Quengeln im Supermarkt zu erleben.
Das vermag wiederum Iris Berben zwar auszugleichen, indem sie ohne Mühe praktisch für Zwei spielt, aber trotzdem werden die Sympathiepunkte insgesamt schließlich doch deutlich, wenn auch unbeabsichtigt, verteilt, was leider die emotionale Wucht mildert.
D 2008, 104 min
Verleih: Zorro
Genre: Drama
Darsteller: Iris Berben, Katharina Schüttler, Sebastian Urzendowsky
Stab:
Regie: Susanne Schneider
Drehbuch: Susanne Schneider
Kinostart: 11.02.10
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...