Originaltitel: ESCOBAR: PARADISE LOST

USA 2014, 114 min
FSK 16
Verleih: Alamode

Genre: Thriller, Drama

Darsteller: Benicio Del Toro, Josh Hutcherson, Claudia Traisac

Regie: Andrea Di Stefano

Kinostart: 09.07.15

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Escobar – Paradise Lost

Ein Gebet im Knien

Gleich zu Beginn dieses Films gibt es eine große Szene. Sie spielt in der Nacht vom 31. März 1991. Pablo Escobar hat gerufen, und alle seine Schergen kommen. Hin ins Versteck des Drogenbarons, irgendwo im Dschungel Kolumbiens. Seit Jahren tobt in dem Land ein von Escobar entfachtes Blutbad. Ein Bürgerkrieg, der sich Drogenkrieg nennt. Rücksichtlos brutal, verheerend, was die Zahl der Opfer und die ohnehin fragile Struktur der Zivilgesellschaft in Kolumbien angeht.

Doch es scheint, als hätte es sich ausgewütet, als sei ein Moment der Erschöpfung eingetreten, der zu einem Akt der Vernunft zwingt. Escobar will sich stellen. Ein mit den staatlichen Behörden ausgehandelter Kompromiß, der die blutigen Wogen glätten und eine Auslieferung an die USA verhindern soll. Doch bevor es so weit ist, gilt es Macht und Vermögen zu sichern. Und so steht in einem nüchtern weiß verputzten, von Neonlicht beschienen Raum Escobar unter seinen Getreuen und vergibt die letzten, entscheidenden Aufträge.

Um wenig später, allein und verlassen, unter nächtlichen Bäumen zu spazieren. Übergewichtig von der jahrelangen exzessiven Neigung zu Fastfood und Softdrinks, mit Fußballshorts unter der Wampe und Basecap überm Vollbartgesicht. Und mit einem dieser schuhkartongroßen Handy-Vorläufer. Es gilt, ein letztes Telefonat zu führen. Eins auf Knien, mit der Mutter am anderen Ende der Leitung. Ein gemeinsames Gebet per Telefon.

ESCOBAR – PARADISE LOST ist das Regiedebüt Andrea Di Stefanos, eines Schauspielers. Das merkt man seinem Film an, und das schon in dieser Szene, in der die Kamera geradezu fasziniert dabei zuschaut, wie Benicio Del Toro in der Rolle des Escobar Aura und Präsenz dieser Figur mit jeder kleinen Geste wachsen läßt. Ein schauspielerisches Kabinettstück!

Und es gibt auch deshalb Momente, in denen man bedauert, daß dieser Film den Fokus nicht gänzlich auf seine Titelfigur richtet. Was indes nie die Intention Di Stefanos, der auch das Drehbuch schrieb, war. Vielmehr versucht er, mit den Augen eines – muß man in dem Fall so nennen – Unschuldigen auf Escobar zu blicken. Nick heißt der junge Kanadier, der mit seinem Bruder und ein paar Freunden das Aussteiger-Dasein in Kolumbien versucht. Abhängen am Strand, surfen und Party, Mädchen kennenlernen. Diese hübsche, selbstbewußte Maria etwa, die Nicks Gefühle dann tatsächlich mehr aufwühlt, als es vielleicht gedacht war. Und die sich als Lieblingsnichte jenes Mannes offenbart, der gerade unter der armen Bevölkerung als großherziger Wohltäter gilt. Bald lernt auch Nick Onkel Pablo kennen. Daß er ihn auch fürchten lernen wird, kann er zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wissen. Und wenn er es weiß, wird es zu spät sein. Weit mehr als ein Paradies, als den Zustand des unschuldigen Blicks, wird Nick verlieren.

ESCOBAR – PARADISE LOST erzählt das ausgehend vom dramaturgischen Scheitelpunkt der Geschichte, eben jener Nacht des 31. März 1991: Zuerst folgt darauf eine Rückblende, die sich ihrerseits kontinuierlich dynamisierend wieder auf diesen Scheitelpunkt zubewegt. Ist sie dort erneut angelangt, erinnert man sich an Escobars Gebet, ohne es noch einmal vorgeführt bekommen zu müssen. Und man wird es auch nicht vergessen, bei dem Schrecklichen, was noch geschehen wird.

Da ist ESCOBAR – PARADISE LOST von einer unerbittlichen, brutalen Konsequenz und dabei, eine Seltenheit bei derlei Sujets, zugleich von einer fast pietäthaften Zurückhaltung bei der Darstellung von Gewalt. Ein Kontrast, der nachhaltig Wirkung entfaltet.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.