D 2019, 84 min
FSK 0
Verleih: Missing Films
Genre: Dokumentation
Regie: Gerd Conradt
Kinostart: 01.08.19
Warum man eine Doku über digitale Gesichtserkennung im Kino sehen sollte? Nun, weil es kaum einen besseren Ort für die Abgründe der menschlichen Visage gibt. Schon der Klassiker DIE PASSION DER JUNGFRAU VON ORLÉANS, erschienen 1928, bestand fast nur aus Großaufnahmen, zornigen Mündern und manischen Blicken. Regisseur Carl Theodor Dreyer urteilte damals, das Gesicht sei „ein Land, das zu erforschen man niemals müde“ werde. Dieses Land findet man seit zwei Jahren auch bei Disney spannend: Zuschauerreaktionen während Kinovorführungen werden mittels Gesichtsanalyse-Software untersucht und ausgewertet. Der Computer erkennt nun, ob ein Witz lustig war oder von Til Schweiger stammt.
Also hinreichend Daseinsberechtigung für Gerd Conradts Kinofilm FACE_IT!. Die Doku zeigt Befürworter, Gegner und nüchterne Analysten von digitaler Gesichtserkennung. Staatsministerin Dorothee Bär etwa begleitet die Entwicklungen mit „offenem Herzen“, Datenschützer Padeluun ist eher der Beschädigung von Überwachungskameras zugeneigt, solange man Strafe zahlt. So viel zum sicherheitspolitischen Aspekt. Doch Regisseur Conradt ist im Herzen vor allem Künstler und an kulturpolitischen Fragen interessiert. „Wem gehört das Gesicht?“, möchte er zum Beispiel wissen. Der Kunsthistoriker Hans Belting schreibt in seinem Buch „Faces“ hierzu: „Heute lassen sich Gesichter produzieren, die in der Körperwelt keine Entsprechung mehr haben, […] die niemandem gehören, sondern nur noch als Bilder existieren“ und nicht mehr als Abbilder.
Aufgrund der Fülle möglicher Fragen war es sinnvoll, den Film auf 80 Minuten und einen interessanten Ausschnitt an Streitthemen zu begrenzen. Können wir Gefühle messen? Die Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel ist da kritisch: Mimik-basierte Gefühlsforschung arbeite mit gestellten Laborgesichtern und vernachlässige „Gesichtspunkte“ wie Errötung. Nur eine Frage der Kompetenzerhöhung, kontert der „Gesichts-Codierer“ Holger Kunzmann und lobt die immer perfekter werdenden Algorithmen. Eine interessante Doku – einigen Kinderkrankheiten zum Trotz. Wenn der Kunsttheoretiker Peter Weibel beispielsweise kluge, aber vor allem österreichische Worte murmelt, ist manch einer auch hier schon wieder auf‘s Mimik-Lesen angewiesen, um grob zu verstehen, was er sagt.
[ Hieronymus Hölzig ]