Der Venezianische Goldene Löwe hat ein Machtwort gebrüllt: Für Alexander Sokurow, für die kinematographische Exzentrik und gegen ein Publikum, das einmal mehr schwer an der Enträtselung seines ästhetischen Programms zu schleppen haben wird. Sokurows Arbeit ist vorerst geschafft: Die 1999 mit MOLOCH begonnene Tetralogie über das Wesen der Macht findet ihren Abschluß in dieser Faust-Adaption, ach was, in dieser Faust-Verspeisung. Denn was der russische Regisseur Hitler, Lenin und Kaiser Hirohito antat, nämlich die Entführung aus ihren Biographien in sein Filmreich, muß auch der literarische Prototyp des heillos deprimierten Grüblers über sich ergehen lassen.
In Sokurow-Land ist es milchig grüngraubraun, die Cadrage ungesund überstreckt und gebogen. Und es ist frühes 19. Jahrhundert, wie man an den speckigen Schoßröcken und Zylindern erkennt. Was sieht man noch? Einen Heinrich, der sich auf der Suche nach der Seele durch Eingeweide und allerhand andere amorphen Bildphantasien wühlt. Einen verwachsenen Wucherer mit Blähungen, der sein satanisches Schwänzchen in einer enormen Hose versteckt. Eine kichernde Dame, die den Häßling wie ein Backfisch anschmachtet. Eine deutsch gemeinte Filmlandschaft, in Frankensteinmanier zusammengeschnitten aus Drehorten in Tschechien und Island. Einzig das Gretchen – ein Träumchen.
An seinen geflügelten Worten sollt ihr ihn schließlich erkennen, euren Goethe. Jedoch, ein wabernder Klangteppich aus Schlürfen, Plappern, Plätschern und Grunzen droht, die letzten Fragen zu verschlucken – die Antithese zum prononcierten Bühnenmonolog, ganz d’accord mit einer Theatermode, in der ein jeder seines dramatischen Textes Schmied ist. Und gesprochen wird eine sächselnde, wienernde, also großdeutsche Filmsprache, die sich bei der vollständigen Studionachvertonung von ihren Sprechern, manchmal auch von ihrem Sinn entfernt hat.
Ein Lehrstück über die totale Filmkunst also? Eine Machtdemonstration mit dramaturgischen und technischen Dehnungsübungen? Oder ein Versuch, den unverbesserlichen Cineasten am Nasenring seiner Eitelkeiten so lange durch die Sokurowschen Intellektualismen und Manierismen zu führen, bis er alle Zweifel für schieres persönliches Unvermögen hält? „Bin doch ein arm unwissend Kind“, um es mit Margarethen zu sagen.
Originaltitel: FAUST
Rußland 2011, 134 min
FSK 16
Verleih: MFA
Genre: Literaturverfilmung, Experimentalfilm
Darsteller: Johannes Zeiler, Anton Adassinsky, Isolda Dychauk, Georg Friedrich, Hanna Schygulla, Andreas Schmidt
Stab:
Regie: Alexander Sokurow
Kamera: Bruno Delbonnel
Kinostart: 19.01.12
[ Sylvia Görke ]