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Fenster zum Sommer

Eine brillierende Nina Hoss umgeben vom Knistern der Zeit

Endlich sägt mal wieder ein deutscher Regisseur an einem, wie es scheint, unumstößlichen Grundpfosten deutschen Filmschaffens, dem realen Ablauf von Zeit. Hendrik Handloegten erzählt in seinem neuen Film eine Liebesgeschichte, die sich nicht mehr an die realen Gesetze der Physik und unserer Vorstellungskraft halten will, und schafft damit ein echtes Stück beeindruckendes deutsches Kino.

Juliane verbringt einen wunderbaren Sommertag in Finnland. Vielleicht den bis dahin schönsten Tag ihres Lebens, denn ihre neue Liebe August ist mit ihr unterwegs. Abends schlafen sie noch zusammen im Auto ein, und als sie am nächsten Tag erwacht, ist es Winter. Als würde sie auf der falschen Seite des Fensters stehen, verbirgt sich hinter den schweren Vorhängen ihres Zimmer nicht Finnland, sondern Berlin. Der Blick voraus ist der Blick zurück. Erst langsam begreift sie, daß es ein halbes Jahr vor ihrem Finnland-Urlaub ist, und daß sie all das, was ihr gerade passiert, schon einmal erlebt hat. Was auch bedeutet: Sie muß ihre große Liebe August noch einmal kennenlernen.

Was folgt, ist ein Duell mit dem Schicksal, und keine andere deutsche Schauspielerin als Nina Hoss hätte die Figur der Juliane so spielen können. Ein bißchen erinnert sie an die Yella aus dem gleichnamigen Film von Christian Petzold, so entrückt und trotzdem glasklar. Es ist Julianes Perspektive, die der Film erzählt, ihr Blick auf die Welt, die aus den Fugen zu sein scheint. Wunderbar eingefangen von Peter Przybylskis Kamera, die Julianes Umgebung oft in der Unschärfe läßt, während sie sich zu dem Tag vorkämpft, an dem sie August kennengelernt hat und wieder kennenlernen will.

„Wer es könnte, die Welt hochwerfen, daß der Wind hindurchfährt“ heißt es in einem Gedicht von Hilde Domin. Hendrik Handloegten hat es geschafft. Er hebt mit diesem Film unsere Welt für eineinhalb Stunden an, um Platz zu machen für einen Moment der Kinomagie. Und wie seine Hauptfigur steuert er damit auf ein Ziel zu, mit dem er tief im Herzen stark verbunden ist, und das er womöglich schon lange kennt.

Für Juliane wird der Kampf mit dem Schicksal ein Ringen mit dem eigenen Gewissen, muß sie doch erkennen, daß ihr Glück verbunden ist mit dem Tod ihrer besten Freundin. Wie sie sich entscheidet, und ob sich das Schicksal austricksen läßt, sollte man sich nicht entgehen lassen.

D 2011, 96 min
FSK 12
Verleih: Prokino

Genre: Drama, Mystery

Darsteller: Nina Hoss, Mark Waschke, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt

Stab:
Regie: Hendrik Handloegten
Drehbuch: Hendrik Handloegten

Kinostart: 03.11.11

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...