Originaltitel: LES AMANDIERS
F 2022, 126 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Drama
Darsteller: Nadia Tereszkiewicz, Sofiane Bennacer, Louis Garrel, Micha Lescot, Clara Bretheau
Regie: Valeria Bruni Tedeschi
Kinostart: 17.08.23
Das unerschrockene Agieren Valeria Bruni Tedeschis als Schauspielerin sollte sich entlang der Jahrzehnte rumgesprochen haben. Ihre neue Regiearbeit provoziert dennoch Erstaunen darüber, welch’ sperriges, ungestümes, aufheulendes, dabei immer faszinierendes … nun ja … Ding hier aus brillant-furchtlosem Geistesschoß gekrochen kam, deutlich autobiographische Züge trägt. Man hofft, Bruni Tedeschi ist ihm – trotz lauter Cannes-Kritikerverdammung – eine verdient stolze Mama!
Es geht um Schüler des berühmten „Théâtre des Amandiers“, Mitte/Ende der 80er, die glauben, ihre Jugend zu verschwenden, und mächtig dagegen rebellieren. Berechtigt Lebenshungrige? Nervige Nabelumkreiser? Zu kurz Gekommene? Von allem etwas? Eigene Entscheidung. Im Zentrum Stella, unschwer zu erkennen Bruni Tedeschis einstiges Selbst. Grundsätzlich will Tschechows „Platonow“ auf die Bühne gebracht werden, hinter den Kulissen regiert kaum extensiver Arbeitseifer, Unrast und Egozentrik schwingen das zunehmend beschwerliche Zepter. Weil jeder jeden vögelt, lodert bald die Angst vor AIDS hoch, Stellas hübscher Freund hat Drogenprobleme, Regisseur Patrice Chéreau (ja, genau der!) gibt eine Mischung aus Verführer, Monster und Mentor, balanciert auf altbekanntem Grad zwischen Genie und Wahnsinn, strauchelt nicht selten weg, in beide Richtungen.
Bruni Tedeschi inszeniert’s mit steilen Kontrasten, verwaschener Unschärfe, übersättigten Farben, ein Rausch der Erinnerungen, eine Reihung in die von Zigarettenqualm vergraute Luft gerotzter Dialogzeilen, dickhosiger Ansagen. Dazu sinniert Janis Joplin „Freedom Is Just Another Word For Nothin’ Left To Lose“, während Stella & Co. gerade einiges verlieren, darunter jede Kontrolle. Und Bruni Tedeschi treibt sie stetig tiefer rein in die Spirale, interessiert sich maximal einen Dreck für gängige Sehgewohnheiten, erzählt nie aus, bricht Szenen an ihren prekärsten Stellen ab, harter Schwenk halt, da wartet ums Gedankeneck doch sicher noch mehr.
Inmitten schräger Randfiguren, pointiert eingesetzter Klassik und unwürdigem Tod passiert ständig so viel, daß man bloß bewundern kann, wie klarsichtig Bruni Tedeschi nötige Ordnung hält. Und jenen auch mutigen Blick zurück zur Abrechnung nutzt: Ich setze mal eben meinem jüngeren Ich ein Denkmal? Hahaha, darauf nur ein hohles Lachen!
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...