Noch keine Bewertung

Forget Baghdad

Brisante filmische Debatte

Vor allem persönliche Gründe waren es, die den Filmemacher Samir veranlaßten, einen Film über das Leben arabischer Juden in ihrer früheren Heimat Bagdad und nun in Israel zu drehen. Nun kommt FORGET BAGHDAD zu einer Zeit in die Kinos, in welcher der Nahe Osten im Fokus internationalen Interesses steht. Für einen Großteil der Zuschauer mag dieser historische Essay eine zu lernende Lektion sein. Leichter ist der Zugang dadurch, daß der Filmemacher selbst sich diese erst aneignet.

Samir, Kind irakischer Einwanderer in die Schweiz und seit Jahren mit Identität und Entfremdung befaßt, befragt fünf prominente arabische Juden. Mit Shimon Ballas, Professor für arabische Literatur und Bürgerrechtler, Sami Michael, Bestsellerautor, Moshe Houri, Bauunternehmer und Samir Naqash, preisgekrönter Autor unveröffentlichter arabischer Romane, erinnern sich vier einstige irakische Kommunisten an das Leben in Bagdad, die revolutionäre Politik der 40er und 50er Jahre und die Emigration nach Israel, wo sie als nützliche Landarbeiter in den Kibbuzen empfangen wurden. Ella Shohat, inzwischen in New York lebend, erzählt von ihrer Kindheit als "stinkende Iraki" in Israel und analysiert die Klischees von Orientalen und arabischen Juden in alten Filmen.

Samir erzählt von einer lang vergessenen Geschichte aus dem Nahen Osten. 140.000 Juden lebten einst im Irak, 120.000 flüchteten nach Israel. Erst seit wenigen Jahren findet in Israel eine lebhafte Debatte statt, in der Intellektuelle Mizrahim, orientalische Juden, die Politik der Entfremdung und Instrumentalisierung der arabischen Juden durch die kolonialen Ansprüche der europäisch geprägten Gründergeneration Israels kritisieren.

FORGET BAGHDAD ist dicht an Informationen und bedient sich der ästhetischen Mittel des modernen Dokumentarfilms. Samir arbeitet mit Überblendungen, die Gespräche unterlegt er mit Politschlagwörtern, mit alten Fotos, und die von Ella Shohat analysierten Spielfilme werden in Ausschnitten zitiert - die komplexe Thematik korrespondiert mit einer höchst differenzierten Filmsprache. Vielleicht hätte es einer solchen gar nicht bedurft, denn die Berichte der Zeitzeugen allein bergen schon viel Wissenswertes.

Originaltitel: FORGET BAGHDAD

CH/D 2002, 110 min
Verleih: Kool

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Samir
Kamera: Nurith Aviv, Philippe Bellaiche

Kinostart: 24.04.03

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.