Originaltitel: MISS JULIE
Norwegen/GB/Irland/F 2014, 129 min
FSK 12
Verleih: Alamode
Genre: Drama, Liebe, Literaturverfilmung
Darsteller: Jessica Chastain, Samantha Morton, Colin Farrell, Nora McMenamy
Regie: Liv Ullmann
Kinostart: 22.01.15
Wer wirklich Essentielles über die norwegische Schauspielerin und Regisseurin Liv Ullmann erfahren will, sollte zwei biographische Bücher lesen: „Wandlungen“, ihr eigenes, sowie „Lebenswege“, das gemeinsam mit Ketil Bjørnstad entstand. Spätestens danach weiß man, weshalb ihr FRÄULEIN JULIE so ist, wie es ist. Doch es geht auch umgekehrt.
Theaterstücke im Kino nerven nicht, wenn sie all die unbestechlichen Vorzüge des Mediums Film und trotzdem das Setting der Bühne in respektierender Weise nutzen. Auch Liv Ullmann behält sich das Recht vor, die Strindberg-Vorlage und damit das theatralische Moment nicht zu verleugnen. In Frankreich, wo der Austausch der „Lager“ viel reger ist als anderswo, weil Theater und Film gleichermaßen als Kultur akzeptiert werden, fällt das Goutieren leichter. Uns bleibt nur die Hoffnung.
Liv Ullmann verläßt weder das 19. Jahrhundert noch die Mittsommernacht, sie verlegt die Handlung aber von Schweden nach Irland. Der Grund dafür ist so simpel wie einleuchtend: Jessica Chastain, Samantha Morton und Colin Farrell sprechen als einzige sichtbar handelnde Figuren Englisch mit Akzent – was unweigerlich zur Präferenz der unsynchronisierten, bestenfalls untertitelten Version führen sollte.
Anyway, wir befinden uns auf einem Landgut, der adelige Herr weilt mitsamt seiner Gefolgschaft auswärts. Nur Tochter Julie, Diener John und Köchin Kathleen sind vor Ort geblieben. Julie hat sich gar in die Feier der Angestellten gewagt und mit John getanzt, wie er Kathleen berichten wird. Die beiden sind liiert, könnten gar verlobt sein. Klar wird das nicht, wie so vieles in dieser Nacht verschwimmt, verletzt, verhindert und versprochen wird. Zwischen Julie und John beginnt ein Ränkespiel besonderer Couleur, das von Kathleen beileibe nicht nur ertragen und sich bis zum nächsten Morgen hinziehen wird. Sie küssen und sie schlagen sich, kämpfen und trinken, beißen und bibbern, sie fechten mit Worten und leisten sich die entscheidende Tat und Tätlichkeit. Denn ist der Ruf erst ruiniert …
Von ersten vielsagend stummen Minuten, in denen Julie als Kind die Räume durchweht und in den nahen Park und Wald hinausläuft, über die Blicke durch Tür-, Tor- und Fensterrahmen bis hin zum hörbaren Atmen der Charaktere ist dieses FRÄULEIN JULIE im Reigen der bislang gedrehten Adaptionen sicher mit die stärkste. Und es liegt nicht mal an der Geschichte.
[ Andreas Körner ]