D 2019, 82 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Tragikomödie, Poesie
Darsteller: Ahuva Sommerfeld, Kara Schröder
Regie: Anatol Schuster
Kinostart: 29.08.19
„Ich will sterben!“ – Frau Sterns einleitender Satz, ein Statement höchster Deutlichkeit, welches auf Widerstand trifft, der Hausarzt benennt hervorragenden Gesundheitszustand, die Stammkneipenwirtin versucht’s mit netter Stichelei: „Ohne Dich kann ich ja gleich dichtmachen!“ Ein Hinweis? Unter Umständen. Licht ins Nebulöse der Sternschen Beweggründe bringt er keins, und sicher ist das gar nicht nötig. Warum sollte es einem Menschen schließlich verboten sein, die finale Entscheidung zu treffen, eigenbestimmt?
Das könnte spontan zur Debatte über Sterbehilfe & Co. aufrufen, verwehrt sich indes jeder Instrumentalisierung und folgt einfach dem – vermeintlich? – letzten Weg jener alten Dame, beobachtet lange Blicke vom Balkon auf vorbeifahrende Züge, allein eingenommene Mahlzeiten, die Sorge für das elternseitig vernachlässigte Nachbarskind. Darin wenige Szenen, die Frau Stern ohne Zigarette zeigen, sie hat das Dauerqualmen überlebt, natürlich, genauso den Holocaust. Er nahm ihr die große Liebe.
Es passiert kaum Aufregendes, von schwarzhumorig glorios scheiternden Suizidversuchen abgesehen, und man darf dafür danken. Da sich aus Verzicht auf tatsächliche Aktion so geradlinig wie außergewöhnlich eine komplette Biographie zusammenpuzzelt, aus Wortfetzen, Nebensätzen, Andeutungen, Fragmenten, Fotos und Erinnerungen. Aufs Wesentliche reduziert und daher passend die klaren, unglamourösen Bilder; sie kommen Frau Stern so nah wie möglich, gehen praktisch auf Tuchfühlung, führen aber verblühte körperliche Attribute niemals vor, nutzen beiläufig beschaute dünne Beine und hängende Brüste als physische Stützsäulen fast greifbarer Würde. Manchmal bis ins müde Auge hineinkriechend, bleibt die Kamera gleichermaßen nötigenfalls auf Distanz, den Körper in voller Größe zeigend, seine charakterliche Gesamtheit erfassend.
Es scheint nur logisch, irgendwann mittenmang inhaltliche Verschiebungen anzustoßen, der Todeswunsch verliert an Fokussierung, das Hier und Jetzt übernimmt. Mal hemmungslos absurd – Frau Stern wird ausgerechnet von einem Trickbetrügerpärchen gerettet. Mal ziemlich bitter angesichts eines Trennungsgespräches, dessen nüchterner Zynismus gruselt. Und selbstvergessen gelöst, wenn die uns längst ans Herz Gewachsene, huckepack am Rücken ihrer Enkelin festgeklammert, breit lächelt. Dann singt sie „Summertime“, nicht auf klassische Weise schön, nein, wohl eher schrecklich schräg, trotzdem unbedingt hörenswert. Besser: erlebenswert, Totalrührung inbegriffen.
Freilich stellt Frau Sterns Odyssee einen vielleicht ungewohnten Anspruch ans Publikum, konkret möchte sie erarbeitet sein, es gilt, emotionale Qualität hoch über das reale Betrachten zu stellen, nominell mangelnden Inhalt als erzählerische Stärke zu begreifen, anzunehmen und umzusetzen. Denn hier darf man tun, was Filmen sonst schnell den Todesstoß gibt – abschweifen. Erlaubt wegdriften. Gedanken nachhängen. Um doch immer wieder zurückzukehren zu dieser hinreißenden Frau Stern, eine Gott leugnende, zerrissene, belastete, dabei unverknöcherte, hellwache, Cranberries klauende 90jährige.
„Ein Film übers Sterben, der das Leben feiert“ schreibt sich flockig leicht, weil’s irgendwie klasse klingt, es weht der schale Hauch einer Phrase jenseits echter Aussagekraft heran. Wer allerdings Frau Stern begleitet, versteht spätestens am Ende, welche Tragweite damit ganz ursprünglich, tief im Inneren, verbunden ist.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...