"Avanti Dilettanti" heißt der mirakulöse Zauberspruch der Fernsehunterhaltung: Sportler zu Zeitgeistexperten, Plaudertaschen zu Brachial-Talkern, Freizeitsänger zu amtlichen Mega-Super-Pop-Stars. Noch nie wurde man so leicht vor seiner Haustür weggecastet - und nie war es leichter, die Steilvorlagen des Mediums mit einem Fallrückzieher in Medienkritik zu verwandeln. Christoph Schlingensief, der Big Player unter den Kritikern, beackert dieses Feld seit Jahren, wobei nicht immer klar ist, ob er noch Terrorist oder schon Establishment ist. 2002 verdaute die Öffentlichkeit seine Suche nach dem Freakstar auf VIVA als Unterhaltung der etwas anderen Art, nicht einmal in der Presse wirklicher Schluckauf. Jetzt sucht Schlingel Schlingensief mit einer Filmverwertung alten und zum Teil ungesendeten Materials im Kino weiter - vor allem nach einem Publikum, das in seiner Political Correctness verwundbar ist.
Geistig und körperlich behindert sind die Kandidaten, die sich im Berliner Tiele-Winkler-Heim dem Urteil der Jury stellen. Von "Alle meine Entchen" über "Die einzeli Marleeen" bis hin zu verlegenem Schweigen reichen die Darbietungen. Doch nicht nur in der Band "Mutter sucht Schrauben" sind Plätze zu vergeben. Es winkt die Teilnahme an der politischen Talkshow "Freakman", einem Ratgeber für Haushaltstechnik, selbst hinter den Kulissen dieser Filmproduktion waren Stellen vakant. So kommt es, daß mit Achim von Paczensky einer von Schlingensiefs Freaks als Regisseur zu Buche schlägt. Unterbrochen von gezeichneten Zwischenbildern im Look von Monty Pythons Flying Circus, erweitert um Trainingseinheiten mit Coach Irm Hermann, Studioimpressionen und Bühnenauftritten, breitet sich die selbstreflexive Struktur der persiflierten TV-Formate in aller Pracht aus - Freaks hier wie dort, die Methoden des Wahnsinns, wir haben verstanden.
Als "Sondermüll der Diskurse" umschrieb ein österreichisches Magazin Schlingensiefs Themenspektrum. Und als Müllmann mit empfindlicher Nase mag er sich durchaus Verdienste erworben haben. Doch wenn man seine Provokationen gewissermaßen vom Wühltisch bezieht und das Preisschild dran läßt, haftet ihnen auch immer der Verdacht des Billigen an.
D 2003, 75 min
Verleih: Royal Produktion/Filmgalerie 451
Genre: Persiflage, Dokumentation, Schräg
Darsteller: Achim von Paczensky, Helga Stöwnase, Kerstin Grassmann, Mario Garzaner, Werner Precht, Horst Gelonnek, Irm Hermann
Stab:
Regie: Achim von Paczensky
Drehbuch: Christoph Schlingensief
Kinostart: 29.04.04
[ Sylvia Görke ]