D 2014, 104 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber
Genre: Drama
Darsteller: Louis Hofmann, Alexander Held, Max Riemelt, Stephan Großmann, Katharina Lorenz, Uwe Bohm, Enso Trebs
Regie: Marc Brummund
Kinostart: 25.06.15
Wieder ein Werk, bei dem sich das Thema vehement der Form bemächtigen wird. Eines, das intensive Optik braucht, starke Schauspieler, kluge Inszenierung und ein Skript, das sich mehrfach gewaschen haben muß, damit es im Kino den nachfolgenden Diskussionen gewachsen ist.
Regisseur Marc Brummund hat da vieles richtig gemacht. Weil er zu oft gesehene Kardinalfehler im gesellschaftskritischen deutschen „Problem-Film“ vermeidet, sich ausdrücklich um die Figuren kümmert, statt ins erklärerische Schwarz und Weiß zu driften. Also ist FREISTATT wichtig, also ist er gelungen. An dieser Stelle die Abstriche herauszustellen, käme in unnötige und unangemessene Nähe zur Nörgelei. Gut, daß nicht lange nach einem verführerischen Titel gesucht wurde. Denn ja, es geht um Freistatt, jene norddeutsche „Fürsorgererziehungsanstalt“ unter dem Dach der Diakonie, für die das heftige Wort „berüchtigt“ berechtigt ist. Dorthin kommt auch der 14jährige Wolfgang, die Gründe dafür sind so profan wie aus Willkür gestemmt: Der Stiefvater will sich in Ruhe mit Wolfgangs Mutter arrangieren, statt die Aufmüpfigkeit des Bengels zu ertragen. Fast scheint es so, als verdränge er damit zugleich einen Konkurrenten.
Für eine Einlieferung jedenfalls hat so etwas gereicht, damals 1968, damals – auch – im Westen. Allerdings sollte man sich aus Respekt vor den mißbrauchten Opfern davor hüten, die Ost-West-Waage herauszuholen! Bis Weihnachten will Wolfgang wieder zu Hause sein. Er glaubt daran, es sei das Frohe Fest desselben Jahres. Im Heim gerät er einerseits in selbstregulierende Gewaltmechanismen unter den Jungs, andererseits spürt er schnell die dem Drill ähnlichen Erziehungs- und Arbeitsmethoden. Die Hierarchie der zumeist eher unchristlichen Diensthabenden sorgt für den Rest. Wolfgang aber bleibt in Herz und Tat ein Rebell, geht selbst an Grenzen, wird an Grenzen geführt, überschreitet sie.
FREISTATT, wie gesagt, ist Kino! Untersuchungsberichte, Erfahrungsbücher, Protokolle von Runden Tischen – all das kann man sich nach dem sinnlichen Erleben dieser reichlich anderthalb Stunden besorgen. Daß in einem deutschen Ensemblefilm mit vielen jugendlichen Darstellern das Niveau schwankt, überrascht nicht. Faszinierend auf sehr eigene Art aber ist Louis Hofmann in der Hauptrolle, der mit physischer Präsenz überzeugt und sich von Judith Kaufmanns wunderbarer Kamera tragen läßt.
[ Andreas Körner ]