Im Grunde haben wir uns an sie gewöhnt, an die Nachrichten über Migranten aus Afrika, die, kaum, daß sie ihr Leben für den Weg nach Europa riskiert haben, oft sofort wieder abgeschoben werden. Viele dieser für uns namen- und gesichtslosen Menschen unternehmen die gefährliche Reise mehrmals, bis sie entweder mit einem prekären Aufenthalt in Europa ihr Ziel erreicht haben oder desillusioniert in ihre Heimatländer zurückkehren oder auf dem Weg gar umkommen.
Der Dokumentarfilm FREMD von Miriam Faßbender begleitet unter anderem einen jungen Mann aus Mali drei Jahre lang auf seiner Odyssee durchs nördliche Afrika, das Traumziel Europa stets vor Augen. Mohammed bekommt als erstgeborener Sohn den Auftrag, Arbeit in Europa zu suchen, um die Familie finanziell zu unterstützen. Doch die Reise erweist sich als langwierig und gefährlich. Immer wieder muß Mohammed monatelang ausharren. bis er das Geld für die nächste Etappe mühsam verdient hat. Und selbst an Marokkos Küste, Europa quasi vor Augen, hat das Warten noch immer kein Ende. Stattdessen scheitern mehrere Versuche, über das Meer zu kommen.
FREMD macht die quälende Perspektivlosigkeit und Leere eines solchen Lebens im ewigen Transit fühlbar. Es ist ein Leben ohne Ankunft in armseligen Provisorien und unter steter Bedrohung durch die Staatsgewalt der jeweiligen Länder. Überall unerwünscht, haben die Migranten keinerlei Möglichkeit, sich ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen, zum Beispiel eine Familie zu gründen, einen Beruf zu erlernen oder gar ihren Interessen nachzugehen. All die Dinge, die für die meisten von uns in Europa selbstverständlich sind, die uns zuzustehen scheinen. Doch noch im Scheitern beweisen Mohammed und seine Begleiter Stärke und Würde.
Als Zuschauer fragt man sich unwillkürlich, wie es wohl in der Heimat dieser Menschen aussehen mag, daß sie bereit sind, das schwere Migrantenlos auf sich zu nehmen. Die Herkunftsorte zeigt Faßbender jedoch nicht. Für die Transitstrecken, auf denen die Regisseurin ihre Protagonisten nicht begleiten konnte, gab sie ihnen Kameras, mit denen die Migranten sich selbst gefilmt haben. So gelangen ihr Einblicke in eine Welt, die europäische Kameras normalerweise nicht fassen. Ihr sehenswerter Debütfilm ist eine engagierte Aufforderung zum Hinschauen, den Blick nicht abzuwenden vom Schicksal dieser Menschen, die in den Medien meist nur als anonyme Masse vorkommen.
D 2011, 92 min
FSK 6
Verleih: Peripher
Genre: Dokumentation
Regie: Miriam Faßbender
Kinostart: 30.05.13
[ Dörthe Gromes ]