Wer war wohl Nora, die im Zentrum des Geschehens steht, obgleich wir sie nur flüchtig zu Gesicht bekommen? Eine einsame Dame? Ein Biest? Eine sarkastische Manipulatorin? Oder gar von allem etwas? Vermutlich wirklich eine menschliche Mischung, darf man mit Blick auf Noras letzte Stunden vermuten: Sie deckt den Tisch, hat allerlei Köstlichkeiten vorgekocht. Dann bringt sie sich um. Natürlich nicht ohne allerhand schriftliche Instruktionen sowie fertigen Kaffee für den Entdecker ihrer Leiche.
Mit der Beerdigung hat Nora ausdrücklich ihren Ex-Mann José betraut, von dem sie seit 20 Jahren geschieden lebt. Wobei die Verstorbene genau wußte: Zu Zeiten des Sabbats geht da gar nix, weshalb der geschasste vormalige Gatte nun fünf Tage warten muß. Mit der Toten an seiner Seite. José rächt sich, indem er zunächst mal Noras Katze abschiebt und dann für die jüdische Frau einen katholischen Priester ruft. Schließlich trifft noch die liebe Familie ein – während sich also zwei Religionen um die Verblichene zanken, versammeln sich Angehörige, Haushälterin, Bestattungsunternehmer und allerhand andere Gestalten. Der Ehekrieg nach dem Tod tobt fröhlich vor sich hin, bis José ein mysteriöses Foto findet …
Da gibt es im Sarg herumturnende Kinder. Noras der Umstände wegen semiprofessionell gekühlte Leiche. Eine halb blinde Tante. Emotionale Rückblenden. Und einiges mehr. Doch was in grobschlächtigeren Händen ein Ende als wahlweise bleischweres Trauerkino oder Zotigkeit zum Fremdschämen hätte finden können, balanciert erfrischend sicher an der Grenze zur Pietätlosigkeit vorbei, streift tatsächlich unglaublich witzig die Komödie, gerät zur rührenden Liebesgeschichte. Hier werden die komplexen Strukturen einer nicht ganz einfachen Ehe aufgedeckt, geht es um Religion als Kalkül und humane Zwischentöne, stellt sich die Frage nach Vergebung und echter Zuneigung. Ein verwobenes Ensemblestück entsteht, irgendwo zwischen schwarzem Humor und realistischer Erzählung.
Wer Nora nun war, beantwortet der Film dabei nicht, sie bleibt ein wunderbares Rätsel, eine reife Sirene. Doch die Kamera fängt wie nebenbei eine ganz zauberhafte Aufnahme ein, welche Hinweise liefert: Vor ihrem Suizid hat Nora noch ein zusätzliches Gedeck an der Stirnseite des Tisches aufgetragen. Für sich selbst. Es bleibt im Gedächtnis – das vielleicht schönste Bild dieses Kinojahres.
Originaltitel: CINCO DÍAS SIN NORA
Mexiko 2009, 92 min
Verleih: Kairos
Genre: Tragikomödie, Liebe, Poesie
Darsteller: Fernando Lujan, Silvia Mariscal, Juan Carlos Colombo, Ari Brickman, Veronica Langer
Stab:
Regie: Mariana Chenillo
Drehbuch: Mariana Chenillo
Kinostart: 10.03.11
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...