Wie sich Bilder festhaken! Frauen in Afghanistan - das ist seit der Fernseh-Kriegsberichterstattung vor allem ein Meer aus blauen Schleiern, Gesichter im textilen Exil, darunter kaum die Ahnung ihrer Körper. Auch im neuen Film der Iranerin Samira Makhmalbaf wogt dieses Meer, aber es ist nicht mehr blickdicht. Hier kann man eine junge Frau dabei ertappen, wie sie die Burka zurückschlägt, wie sie sich wendig durch das zerstörte Kabul und eine zerbombte alte Ordnung bewegt.
Makhmalbaf träumt ihr die neuen Möglichkeiten nach den Taliban: Noqreh als Staatspräsidentin. Der Traum ist bescheiden, denn er bleibt Spiel im Unterricht an der wieder eröffneten Mädchenschule, die Noqreh hinter dem Rücken ihres Vaters besucht. Während sie heimlich Diskutieren und Überzeugen übt, während die kindliche Gegenkandidatin bei einem Attentat umkommt, beklagt der alte Kutscher den Verfall der gottgewollten Sitten und verweigert unverschleierten Damen still aber bestimmt die Beförderung. Die Familie ist arm, der Bruder vermißt, die Schwägerin umsorgt ihr todkrankes Baby, die Suche nach Wasser und Obdach bestimmt den Tag. Trotz allem weiterträumen? Ein kesser Dichter hilft Noqreh dabei, verschmitzt lächelnd zwar, gleichwohl aber respektvoll.
Nicht nur der tausenddeutige, einem Gedicht von Garcia Lorca entlehnte Filmtitel steht für Makhmalbafs konsequent poetischen Zugang zu von Fanatismus, Unwissenheit und Krieg verstopften Krisengebieten. Wie schon in DER APFEL und SCHWARZE TAFELN vertraut sie auf die Kraft von Symbolen, die man auch mit Händen greifen kann. Hier ist ein Paar weißer, verschlissener Absatzschuhe der fast märchenhafte Zauberfetisch der Protagonistin - zum würdevollen Treten auf hohl klingenden Taliban-Ruinen, für den unumgänglichen großen Schritt der Töchter heraus aus der Welt der Väter.
Wie die Regisseurin zeigt, droht dort nach wie vor der Stillstand. Manchmal ist kein Vorwärtskommen: im Nirgendwo vor Kabul hat sich vor langer Zeit ein müder Greis verirrt, der in Kandahar beraten wollte, wie ein Angriff der Amerikaner noch zu verhindern sei. Das sind andere Bilder zum Festhaken, großzügig geschnittene Räume voll gedanklicher Atemluft.
Originaltitel: PANJ É ASR
Iran/F 2002, 105 min
Verleih: Alamode
Genre: Drama, Poesie
Darsteller: Aghele Rezaie, Abdolgani Yousefrazi, Razi Mohebi, Marzieh Amiri
Stab:
Regie: Samira Makhmalbaf
Drehbuch: Samira Makhmalbaf, Moshen Makhmalbaf
Kinostart: 22.07.04
[ Sylvia Görke ]