Originaltitel: GABRIELLE
F 2005, 90 min
Verleih: Concorde
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Isabelle Huppert, Pascal Greggory
Regie: Patrice Chéreau
Kinostart: 12.01.06
Dieser Film gibt eine Menge Rätsel auf. Zum einen ganz aus seinem Habitus heraus, aus dem Wesen seiner Figuren. Zum anderen ganz bewußt, weil Patrice Chéreau zwar das Komplexe, aber in seinen unzähligen Windungen auch das komplett Abstrakte, das Sperrig-Kunstvolle in Sprache und Tun mag. Gerade wenn es um das Miteinander von zwei (sich liebenden?) Menschen geht. So wie hier. Gabrielle und Jean.
Er, ein rationaler, erfolgreicher, selbstgefälliger und beherrschter Mann, eher eine Art Verwalter, ein Prokurist der Gefühle, karg und kühl in Allem, im Aussehen, im Umgang, in seinen persönlichen Analysen. Sie, ein ebenso kluges wie in seiner ätherischen Erscheinung schönes, fast zerbrechliches Wesen, das vom Wohlstand ihres Mannes lebt. Ein Weibchen eher. Bis jetzt. In der Öffentlichkeit ist Gabrielle redegewandt, scharfzüngig und forsch. Gelegenheit dazu gibt’s zur Genüge. Man gibt Gesellschaften, das Haus wird voll, das Dienstpersonal trägt beflissen Gebratenes aus der Küche und schenkt Edles nach. Man parliert, wirft sich Kluges zu und vermeintlich Klügeres zurück, eine Gesellschaft eben zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Doch eines Tages kriegt diese Wunderkugel erste Risse. Gabrielle löst dies aus, indem sie ihrem Mann einen knappen Brief schreibt, der vom sofortigen Abschied kündet. Es gibt da einen anderen, sie will nicht mehr zurückkommen, " ... bitte verzeih!" Wenige Stunden später ist Gabrielle zurück, und die demütigende Sezierung eines Zweckbündnisses nimmt ihren Lauf.
Was will Chéreau eigentlich mit diesem merkwürdigen, so bestechend klugen, in wenigen Momenten gar blitzend komischen und trotz guter Dialoge über die Ebene einer nie gesehenen Kälte eher lakonisch erzählenden Film? Ist es die simple Abrechnung einer Frau, die zu krassen Schritten und deren Konsequenz aber auch erst nach zehn Jahren lieblosen Ehefrosts in der Lage war? Quasi - wie gesagt, es ist 1910 - eine frühe Demontage des Patriarchats, aus purer Verzweiflung, mit aller wiederentdeckten Leidenschaft unter der Brust Gabrielles? Vielleicht. Vielleicht aber geht es ihm auch eher um den Prozeß an sich, wie Menschen nach einem derartigen Erlebnis einander begegnen, nach dieser langen gemeinsamen, unter einem Dach und doch stets getrennt verbrachten Zeit. Er, verletzt, cholerisch, laut, gar richtig laut dieser Gefühlsbuchhalter, und sie? Sie, noch blasser, geheimnisvoller, hinter der Sommersprossenstirn vielleicht ein bißchen Hohn?
Dieses Aufeinanderzu und Voneinanderweg atmet naturgemäß Theaterluft, und trotzdem entsteht knisternde Kinoatmosphäre. Weil Chéreau ganz nah dran ist: er schmeckt die Tränen Gabrielles und riecht den panischen Angstschweiß Jeans. Angst vor der Einsamkeit, dem Abgestoßensein, verlassen, er, so als gestandener Mann. Er spricht in seinem Zorn ohnehin zu oft von "la mort". Doch auch formal glückt das Spiel mit den Kinomitteln: der farbigen Enge ihres großen, aber beklemmenden Hauses stehen Aufnahmen gegenüber, in denen ganz rege Bewegungen, die vitale Außenwelt zu erkennen sind. Die dann in Schwarzweiß. Es ist auch eine schlicht brillante Vorführung großen Schauspielerkinos. Bei der Huppert fragt man sich immer wieder: Was kann die eigentlich nicht? Sie hat uns wohltuend an und in der Hand.
Und ganz am Ende kommt die Wahrscheinlichkeit der bereits erwähnten Entthronung des Mannes wieder ins Spiel. So verläßt der Zuschauer die Szene, interessiert, berührt, neugierig und voller Rätsel im Gepäck.
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.