Große Ohren, damit er sie besser hören kann. Große Nase, damit er sie besser riechen und nicht ganz so große, aber recht markante Augen, damit er sie besser mustern kann. Und schließlich der große Mund, damit er sie besser, na ja, küssen kann … Um hier die jugendfreie Variante beizubehalten, für die Umschreibung dieses Mannes, der zwar kein Wolf war, aber oft wirkte wie ein träge lauernder Faun an einem Sommernachmittag. Serge Gainsbourg war die wandelnde Zerrissenheit. Franzose und Jude, Chansonnier mit Rock’n’Roll-Attitüde, der zynische Sensible, ein kettenrauchender und Whisky saufender Poet. Und tatsächlich „der Mann, der die Frauen liebte.“ Diese deutsche Erweiterung des französischen Originaltitels zu Joann Sfars Film mag dämlich sein, zutreffend ist sie dennoch.
Keinen „journalistischen Bericht über sein Leben“ wollte der Comic-Zeichner Sfar mit seinem Film drehen. „Ich liebe Gainsbourg viel zu sehr, um ihn ins Reich der Realität zurückzuholen.“ Und tatsächlich ist es Sfar geglückt, einem Gainsbourg nahezubringen, indem er ihn entrückt. Fast scheint es, als wolle Sfar Gainsbourg schützen vor Zudringlichkeiten, vorm faden Psychologisieren, der Kälte eines analytischen Blicks. Poetisch versponnen, durchsetzt mit den Spiegelsplittern des Surrealen ist diese Welt, die Sfar erstehen läßt, und durch die sein Held wandelt. Rauchend, trinkend, liebend. Verfolgt von einer lebensgroßen puppenhaften Figur, „seiner häßlichen Fresse“, die hier als die Verkörperung eines Zynismus’ aufspielt, der Gainsbourg wahrlich nicht fremd war. Ein Zynismus, der doch nur, wie so oft, einen Akt des Selbstschutzes darstellte. Und so sind die schönsten Szenen des Films die, in denen Serge diese, seine „häßliche Fresse“ zum Teufel schickt. Er kann ohne sie leben, als er Jane Birkin trifft. Die Frau, bei der er Liebe und Frieden findet – für eine Weile zumindest.
Das alles geht auf. Das alles ist schlüssig, ist schön zu sehen – und natürlich ob der reichhaltig gespielten Musik schön zu hören. Doch es gibt ein Manko an Sfars Liebeserklärung für Gainsbourg – sie ist zu verliebt. Sie ist zu nett. Zu wenig frivol, zu wenig halbseiden und ambivalent. Sie domestiziert Gainsbourg. Dieser Mann war wundervoll – und er war ein Bastard. Ein Arschloch und ein großer Künstler. Ein herzzerreißend liebender Vater und verletzender Zyniker. Diese Kluft hat Sfar entgratet. Beschwichtigt aus Liebe. Die Frage ist irrelevant – und stellt sich doch: Hätte Gainsbourg das gewollt?
Originaltitel: GAINSBOURG
F 2009, 121 min
FSK 12
Verleih: Prokino
Genre: Biographie, Drama
Darsteller: Eric Elmosnino, Lucy Gordon, Laetitia Casta
Regie: Joann Sfar
Kinostart: 14.10.10
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.