Es war ein schrecklicher Sommertag im Jahr 1986. Vor dem Transistorenradio klebte man mit einem Ohr, um dem Rias 2-Rauschen zu entnehmen, daß sich eines der erfolgreichsten Duos mit der Single "The Edge of Heaven" von der Popbühne verabschieden sollte. Man konnte zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht wissen, daß WHAM!-Sänger George Michael erst nach dem Split zu wahrer Künstlergröße reifen würde.
Das alles nun ist 20 Jahre her, George hat eine Handvoll wahrlich brillanter Alben veröffentlicht, einen kleinen, an sich völlig harmlosen Skandal auf einer amerikanischen Toilette überstanden, diesen dann selbstbewußt und -ironisch vermarktet, und nun gibt’s den attraktiven Sänger in XXL, auf der Leinwand, was nur folgerichtig ist, denn er hat außer einer atemlosen Karriere tatsächlich was zu erzählen. Sehr offen sogar, denn ohne Koketterie berichtet er vom Zusammenbruch nach dem Megaseller "Faith", vom Verlust zweier ihm sehr nahestehender Menschen, seiner Mutter und dem langjährigen und schließlich an die Geißel AIDS verlorenen Geliebten Anselmo, dem beispiellosen Kampf gegen den Multi Sony, seine nie kaschierte Aversion gegen Bush, Blair & Co. ...
Southan Morris’ Dokumentation ist eine sehr intime Beobachtung geworden, keine von diesen irgendwie gefälschten Home-Stories, vielmehr eine spannende Auseinandersetzung mit einem talentierten, selbstkritischen und bei allem Sexappeal fast uneitlen Künstler, eine Reise an den Ursprung schräger Mode, zur Kurzlebigkeit sogenannten Zeitgeistes und immer wieder - wenn’s in die 80er geht - hinab in den Orkus des schlechten Geschmacks. Zu akutem Fremdschämen taugen da die Ausschnitte aus einer TV-Performance zum frühen Hit "Bad Boys", und zum Schmunzeln ist auch das Video zu "Club Tropicana", das sich wie ein gewollt-und-nicht-gekonnt verrenkender Softporno geriert.
George Michael war nie einer dieser Akkord-Arbeiter, da vergehen auch schon mal bis zu sieben Jahre zwischen den Alben. Er ist keiner, der sich peinlich verbiegt, um bei der jungen Käuferschicht zu punkten. Da haben sich Stars ähnlichen Kalibers wie Madonna und Michael Jackson schon viel früher totgelaufen. Berührend im Film sind die Szenen mit dem Ex-WHAM!-Partner Ridgeley, da beide Sturköpfe zu neuer Freundschaft gefunden haben. In der gründlich recherchierten Doku über ein außergewöhnliches Künstlerleben erweist sich George Michael als kluger, sympathischer und gewitzter Typ. Und - auch er wird eben nicht jünger - in den aktuelleren Bildern als einer, der wie viele Männer über 30 seinen eigenen Kampf gegen die Gesetzmäßigkeit der Schwerkraft führt.
Der NDW-Barde Andreas Dorau sagte mal, daß er George Michael deshalb nicht erträgt, weil man immer das Gefühl hat, dieser riebe sich am Bein des Zuhörers. Spätestens nach diesem Film wird’s einem wieder klar: Dorau hat rein gar nichts begriffen.
Originaltitel: A DIFFERENT STORY
GB 2005, 95 min
Verleih: Academy Films
Genre: Dokumentation, Musik, Biographie
Regie: Southan Morris
Kinostart: 16.02.06
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.