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Geschichten aus Javé

Aufschreiben: ein Dorf macht sich wichtig

Möglich, daß die Bibel nur geschrieben wurde, um das Weltgeschehen vor der Sintflut ins Trockene zu bringen. Ganz ähnlich stellen sich die Bewohner des Javé-Tales auch ihre eigene Rettung vor - einmal hat es ja schließlich schon funktioniert. Ein Staudamm soll die Gegend fluten. Außer, man hätte schriftlich verbriefte, historische Fakten, die das Örtchen auf der Landkarte unentbehrlich machten.

Eine Illusion, wie sich herausstellen wird. Doch vielleicht ist gerade dieses Gottvertrauen in die Kraft der Schrift das emsige Perpetuum Mobile, das diese Geschichte um das Geschichtenerzählen mit Energie und Phantasie auflädt. Die brasilianische Filmemacherin Eliane Caffé setzt den Dörflern die Wasserpistole auf die Brust und erpreßt damit einen Erzählstrom, der bis in die Zeit der portugiesischen Eroberer zurückreicht. Die schriftliche Niederlegung überlassen Javés Analphabeten notgedrungen dem schreibkundigen Postbeamten Biá, der bislang vor allem fürs Lügen bekannt ist. Aus schreienden Hälsen erfährt er die Gründungsgeschichten von Javé. Einig ist man sich lediglich, daß ein gewisser Indalécio und die Kirchenglocke eine Rolle spielten. Alle anderen mythischen Details tragen die Temperament- und Egofarben des jeweiligen Erzählers.

Währenddessen dichtet die Regisseurin in Bildersprache. Für jede Variante der Dorfhistorie ist ein Film im Film entstanden, in dem der Erzähler ganz selbstverständlich auch Hauptdarsteller ist - mal Heiligenlegende, mal Hexenthriller oder Familiendrama, je nach angeschlagenem Ton. Augenzwinkernd fischt Caffé in der dörflichen Ursuppe und findet darin neben Exkursen über Mädchenfürze, Tintendurchfall und ein Zwillingspärchen mit zwei Vätern vor allem Kluges über die mündlichen Wurzeln der Literatur und die demokratische Arbeit am Mythos.

Was von vorn wie ein lebenspraller Bauernschwank aussieht, entpuppt sich als poetische Camouflage: Hinter deftigem ländlichen Witz und sinnlich-sonnigem Schlendrian verbirgt sich ein streng durchdachter, mit biblischen Namen und Motiven durchsetzter Gedankenkosmos, den man in seiner intellektuellen Vertracktheit nicht unterschätzen darf.

[ Sylvia Görke ]