Originaltitel: INCIDENT IN A GHOST LAND

F/Kanada 2018, 91 min
FSK 16
Verleih: Capelight

Genre: Psycho, Thriller

Darsteller: Crystal Reed, Anastasia Phillips, Mylène Farmer, Emilia Jones, Taylor Hickson

Regie: Pascal Laugier

Kinostart: 05.04.18

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Ghostland

Reflexionen geschwisterlicher Liebe im Auge der Bestie

Frankreich: nicht nur Land der Komödie, sondern einst Hort beinharter Genre-Kost, die man allerdings auf vier große Böse von Aja, Maury/Bustillo, Gens und Laugier herunterbrechen kann. Der heute noch ehrfürchtig geflüsterte Begriff „Terrorfilmwelle“ scheint daher übertrieben, einigen wir uns eher auf ein extremes Plätschern. Welches denn bald verebbte. Doch jetzt reaktiviert MARTYRS-Macher Pascal Laugier alte Stärken, und die für GHOSTLAND nach Berufung erteilte Altersfreigabe „ab 16 Jahren“ hat nichts zu bedeuten. Außer vielleicht, daß die FSK für das zweitsichtende Gremium neue Würfel angeschafft hat.

Anfangs nix Originelles: Eine Mutter fährt mit ihren Töchtern Beth und Vera zum soeben geerbten Haus, auf dem Weg tummeln sich seltsame Menschen, verstören Zeitungsberichte über Morde, das Domizil sieht abgeranzt aus, Spannungen knistern, Anschuldigungen gellen: „I Know You Love Her More!“ Zeit zum Ausdiskutieren fehlt, das Grauen hält kurz darauf Einzug, zwei Fremde überfallen die Frauen, und was folgt, ist ein Akt purer Entmenschlichung. Mama gelingt es, die Mädchen zu beschützen, weil sie zur Furie mutiert, zum reißenden Muttertier. Laugier schenkt da konsequent ein, prügelt mitten ins Gesicht, den Magen, sogar das Trommelfell, indem er die häufig für Billigschocks zweckentfremdete Tonspur zur bestialischen Spielwiese entartet. Brutal an Wände oder auf den Boden krachende Körper, mehrfach saftig schmatzendes Eindringen einer Klinge, ersticktes Röcheln und animalisches Brüllen – man steht all das quasi physisch durch.

16 Jahre später kehrt Beth, erfolgreiche Autorin, an den Ort des Geschehens zurück und findet dort Vera, angeblich freiwillig im Keller eingesperrt und manchmal, grotesk zurechtgemacht, gefesselt im Bett sitzend, während Mutti Schubkarren voller Puppen schiebt und sich ahnungslos gibt. Da gelingt Laugier ein atemraubender atmosphärischer Schlenker, Ungewißheit und undefinierter Ekel potenzieren einander, will man wirklich wissen, was hier geschieht? Des Rätsels Lösung kommt so schrecklich einfach wie einfach schrecklich.

Von nun an zieht Laugier die Wahnsinnsspirale stetig fester, was heftig funktioniert, obwohl er teils unangenehme Wege geht – körperliche Fehlbildung inklusive Hasenscharte bzw. sexuelle Identität jenseits festgetackerter Heteronorm als Untermauerung inhumaner Soziopathie zu benutzen, sollte anno 2018 kein zumutbarer Ansatz sein.

Sich daran ernsthaft zu stören, verhindert indes Laugiers mörderisches Tempo, zudem fordert er sein Publikum geradezu höhnisch heraus, verbindet, was einander gängigen Sehgewohnheiten folgend verbietet: Bekanntlich hat Horror vor verzerrten, die Dissonanz zur Kunst erhebenden Fieberklängen stattzufinden, Beths und Veras Martyrium untermalt hingegen ein traumhaft-melodischer Score, dessen Melancholie um jede Verletzung zu trauern scheint. Auch vertraute düster-dreckige oder kalt-gelackte Optik sucht das um tröstenden Halt bemühte Auge vergebens, derart schöne, warme Bilder sah man lange nicht. Zwei Seelen dienen dem Psychotischen handwerklich brillant als Objekt – eine erneute, gedoppelte Entmenschlichung.

Schließlich, wenn die krasse Fabel um bittere Wahrheit sowie die Flucht davor ein (natürlich überaus gewalttätiges) Ende fand, parallel die innige Ode an innerfamiliäre Liebe gesungen wurde, geht es los: das Hämmern im eigenen Kopf, das heiße Pulsieren, die dringend nötige Verarbeitung. Frankreich plätscherte wieder kräftig …

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...