D 2016, 102 min
FSK 16
Verleih: Wild Bunch
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Martina Gedeck, Ulrich Tukur, Johannes Krisch
Regie: Sven Taddicken
Kinostart: 20.10.16
Achtung, Schleichwerbung! Lesen Sie dieses Buch und folgen sie der 1965 in Schottland geborenen Autorin A.L. Kennedy beim feinsten Florett der Worte! Es ist ganz gleich, ob Sie davor oder danach ins Kino gehen, denn Sven Taddicken, Regisseur von EMMAS GLÜCK, hat auch GLEISSENDES GLÜCK vorzüglich für die Leinwand adaptiert. Wo Schriftsprache nur in seltenen Fällen Dialogsprache werden kann, ist sie hier an markanten Punkten der Handlung 1:1 wiederzufinden. Roman und Film umschlingen sich förmlich. Wie Zwillinge, die sich kurz aus den Augen verloren haben und doch tief im Herzen wissen, daß sie Essentielles verbindet.
Wenn gesprochene Worte fehlen, dann spielen sie Martina Gedeck, Ulrich Tukur und Johannes Krisch überragend stumm, so, als seien sie auf eigene Art lesbar. Es sind Sätze wie: „Sie legte ihm die Hand an die Schulter, wegen des Gleichgewichts, und führte dann Bewegungen aus, die man in ihrer Gesamtheit als Kuß beschreiben könnte.“ GLEISSENDES GLÜCK ist ein drängendes Kammerstück für drei Personen, ein wabernder Film der Räume, eine Seelenschau.
Helene Brindel hat Gott verloren. Ausgerechnet Christoph, ihr Mann, weiß, warum das so ist. Helene hätte nie einen Glauben gehabt, wäre nur in die Kirche gegangen, um kniend zu kommen, bis ihr Gott keinen mehr hochgekriegt hat. Dann hätte Helene Gott verlassen, nicht umgekehrt. Die kinderlose Ehe der Brindels ist zum Kühlraum verkommen. Helene findet sich Nacht für Nacht auf dem Fußboden wieder, schlaflos, lethargisch, neben der Spur, die irgendwo im klinisch reinen Chic des Brindelschen Heims verschwindet. Es sind klare Worte von Professor Edward E. Gluck im Radio und in TV-Talkshows, die Helene während stoisch wie akribisch verrichteter Hausarbeit seltsam erregen. Der Gehirnforscher spricht vom Glück und davon, wie man aus der Wirklichkeit heraus Zustände umdeuten und danach in höchstem Maße zufrieden werden kann. Gluck hat dazu Theorien entworfen, die ihn zum Ratgeber werden lassen.
Rat geben – Helene nimmt dankend an, trifft den Professor persönlich, wird ihn durch ihr offenes, entrücktes Wesen auf nicht minder seltsame Weise anfixen, ihn vom Sockel der Arroganz holen, hin zu eigenen Dämonen führen. Unterschwellig. Unnachgiebig. Denn Gluck selbst fehlen mehr als die Ü-Punkte zum Glück.
Da haben sich zwei gefunden! Keinesfalls im herkömmlichen Sinne, sondern auf speziellen, schwer faßbaren Ebenen. Christoph, dem Dritten, bleibt nicht viel anderes zu tun, als wild um sich zu schlagen. Ohne Gott im Gemetzel. Helene erträgt es. Und deutet um. Hatte sie anfangs noch Eduards Versuche, ihr beim Entspannen zu helfen, harsch abgebügelt („Ich entspanne nicht mehr!“), findet sie durch ihn zum Schlaf und zu sich selbst.
GLEISSENDES GLÜCK ist als Liebesgeschichte intellektuell und sinnlich, gnadenlos und geheimnisvoll, dunkel und lichtgeflutet. Mit großen Bildern, die nach außen schützen und nach innen schutzlos machen. Mit Sex und Gewalt, Andeutungen und Aussprachen, Art und Form. GLEISSENDES GLÜCK ist für jene geschrieben und gedreht worden, die glauben und glauben wollen – an was und wen auch immer. Atheisten willkommen!
GLEISSENDES GLÜCK fordert heraus. Buch und Film entwickeln einen zarten wie nachdrücklichen Griff an den Hals, ohne sich an denselben zu werfen. Für ein stupides „Nimm mich! Mag mich!“ sind sie sich zu schade. Ein gleißender Glücksfall für Literatur und Kino!
[ Andreas Körner ]