Meistens wird das Jahr 1959 als das Geburtsjahr der Nouvelle Vague angesehen, jener Cinéastenbewegung, die das französische Kino von Grund auf erneuerte – und nicht nur das französische. Auch Emmanuel Laurents Archiv-Dokumentarfilm nimmt 1959 zum Ausgangspunkt, um von hier aus zurück- und vorzublicken. Das Jahr, in dem François Truffauts erster langer Film SIE KÜSSTEN UND SIE SCHLUGEN IHN in Cannes gefeiert wurde. Ein Film, der mit leichtem Equipment an Originalorten in den Straßen von Paris gedreht war, der die autobiographische Handschrift eines Autodidakten-Autorenfilmers trug – und der einen absolut einnehmenden jugendlichen Hauptdarsteller präsentierte: Jean-Pierre Léaud.
Ein Film über die Liebe zum Kino auch. Und genau das war es letztendlich, was die neue Welle und ihre Vertreter, fast allesamt Filmkritiker, wirklich zusammenschweißte. Es waren nicht die Themen, nicht die Machart, es war das unbedingte Bekenntnis zum Kino, wie man es gemeinsam in unendlichen Séancen in der Cinémathèque française, der Filmhochschule der neuen Filmemachergeneration, für sich entdeckt hatte. Es ist nur konsequent, wenn Jean-Luc Godard am Ende seiner Freundschaft mit Truffaut an diesen schreibt: Wenn man nicht mehr dieselben Filme liebt, muß man sich trennen.
Godard-Truffaut, um diese Freundschaft geht es also. Diese beiden Portalfiguren der Nouvelle Vague teilten Manuskripte und Arbeitsprozesse, schrieben in den Cahiers du Cinéma Lobhymnen übereinander, zitierten ihre Filme gegenseitig. Sie teilten auch einige Schauspieler. Vor allem Léaud wurde zunehmend von beiden eingesetzt. Als Bindeglied zwischen ihnen zunächst und dann als Zerrissener, der von beiden in komplett andere Richtungen gezerrt wurde, als Godard sich zunehmend politisierte und irgendwann nach 1968 konsequenterweise das Kino ganz verdammte. Léaud, der Sohn der Nouvelle Vague, mit ihr groß geworden, innerlich zerteilt. So die These des Filmes.
Nachvollziehbar ist das allemal. Und doch bleibt es Behauptung. Emmanuel Laurent findet keinen eigenständigen Umgang mit den unendlich vielen Archivbildern. Die Stärke des Filmes, das historisch wertvolle Material, wird so auch zu seinem größten Problem. Der Kommentar zu den rasch wechselnden Film- und Fotobildern wird zu einer Tour de Force durch die Nouvelle-Vague-Geschichte. Eine Lehrstunde, aber als künstlerischer Dokuemtarfilm enttäuschend.
Originaltitel: DEUX DE LA VAGUE
F 2010, 91 min
Verleih: Barnsteiner
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: Emmanuel Laurent
Kinostart: 28.04.11
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...