• Meinungen

Golden Lemons

Tournee Bizarre

Da ist sie echt auf dem Holzweg, die gute Frau aus dem Truck-Stop. Die Herren würden einen Film über ihren Rastplatz drehen, meint sie. Im unvorteilhaften Outfit (Labber-T-Shirt, Leggings, Mopp-Frisur und Gürteltasche), aber ausgesprochen redselig führt sie das Kamerateam durch den Souvenirshop und all die anderen Sehenswürdigkeiten der amerikanischen Provinzraststätte. Ob sie die Goldenen Zitronen aus Hamburg kennt, wird gefragt. Klar, Bamberg kennt sie, dort hat sie einen Cousin. Wenn sie wüßte, daß die Goldenen Zitronen eine deutsche Punkband mit Legendenstatus sind und den schizophrenen Musiker Wesley Willis auf seiner US-Tour begleiten, würde sie sicher nur kurz stutzen, "Wesley wer?" That’s America - edle Einfalt, stille Größe.

GOLDEN LEMONS ist ein Erlebnis jenseits weichgespülter Musikdokumentationen. Eine Installation, deren finale Form selbst Regisseur Jörg Siepmann nicht erahnen konnte, als er mit seinem Kameramann in San Francisco aus dem Flugzeug stieg. Tal, Tourmanager von Wesley Willis, wußte nichts vom Filmprojekt, schirmte den schwarzen Musiker ab und hatte als Überraschung Grand Buffet im Schlepptau, eine zweite Vorband. Doch die Lage entspannt sich, drei Musikerlager teilen sich die sehr wechselhaften Bühnen und kommen ins Gespräch. Wesley Willis, der zutiefst beunruhigende Koloß, ist stets um emotionale Stabilität bemüht. Schizophrenie und Autismus zeichnen sein Verhalten, der Manager ist zeitgleich sein Pfleger. Beim Konzertpublikum weiß man nie recht, ob es eine "Freakshow" erhofft, oder Willis’ formelhafte Songs hören will, die aus maximal drei Akkorden bestehen. Viele Figuren bedeuten wenig Spielraum, häufig dominieren die Zitronen Schorsch Kamerun und Ted Gaier mit Reibereien die Szenerie.

Die Rastlosigkeit, mit der Jörg Siepmann Facetten anreißt, Tournee-Stationen skizziert und in verblichener Authentizität konserviert, mündet in einem fesselnden Reisedokument einer bizarren Welt. Man verläßt den Saal und ist hungrig, man möchte weiter in diesem originellen Logbuch stöbern, mehr hören, viel mehr sehenÉ

[ Roman Klink ]