Für manch’ jungen Leser mag es Fluch und Segen zugleich sein, „die Wende“ nicht live erlebt zu haben. Fluch, weil er solch’ spannende Zeit nur aus Lehrbüchern kennt. Segen, da ihm peinliche Aktionen erspart blieben – man denke an Beate Uhses Minikatalog-Verteilung vom LKW aus oder eben die teilweise Bereicherungsverramschung eines ganzen Landes.
Letztere beleuchtet vorliegende Doku am Beispiel der Treuhand, und der bittere Titel gibt eine klare Marschrichtung vor: Zwar war es Aufgabe besagter Anstalt, volkseigene Betriebe zu privatisieren und somit zukunftssicher zu machen, doch standen am Ende rund 4000 Schließungen, etwa 2,5 Millionen verlorene Arbeitsplätze sowie Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe. Wie konnte es dazu kommen?
Klaus Klamroth, Ex-Niederlassungsdirektor in Halle, weiß keine klare Antwort, räumt aber gleich zu Beginn Fehler ein. Ähnlich äußert sich Detlef Scheunert, damals Assistent des Vorstandes. Und so weiter. Es fallen Begriffe vom Tenor „kontaminiert“, „fragwürdige Umstände“ oder „Ausverkauf.“ Im groß angelegten Rundumschlag geht’s parallel um den RAF-Mord an Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder oder den Rauschzustand des 100 DM Begrüßungsgeld in den schwitzigen Händen haltenden Normalbürgers, umrahmt durch das in Dokus gängige, hier aber wirklich sinnvolle Archivmaterial und allerhand Interviews mit oder wenigstens Gesprächsfetzen von Zeugen der Geschehnisse. Manchmal fundiert hinterfragt, dann wieder nur grob angerissen, häufig als wahre Informationsflut auf den Zuschauer einfließend.
Der Regisseur nun möchte nach Unstimmigkeiten bezüglich des Finalschnitts anonym bleiben. Ein schlechtes Zeichen vielleicht? Formulieren wir das so: Man darf sich schon mit einigem Recht fragen, was die schlußendlich gezogenen Erkenntnisse – es wurde übler Mist gebaut, so ziemlich jeder über den Tisch gezogen, und die Menschen mußten schnell einsehen, daß bloß Katzengold war, was vorerst herrlich glänzte – zum jetzigen Zeitpunkt über geschichtliche Rückblicke hinaus noch bewirken sollen, zumal sich ihr Überraschungspotential wohl doch in eher ziemlich eng gesteckten Grenzen hält. Auch die Einseitigkeit der hiesigen Betrachtung hinterläßt nicht wirklich den Eindruck einer sehr dual orientierten Abhandlung. Aber, das sei auf jeden Fall zugestanden, spannend und interessant anzusehen ist das Ergebnis allemal.
D 2011, 94 min
FSK 0
Verleih: Real Fiction
Genre: Dokumentation, Polit, Historie
Produktion: Zero One
Kinostart: 30.08.12
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...